Volltext: Geschichte der Italienischen Malerei vom vierten bis ins sechzehnte Jahrhundert (Bd. 1)

258 
Buch, 
Die Frührenaissance. 
Während aber in Italien Architektur, Plastik und Malerei an dieser 
Neugestaltung theilnahmen, blieb im Norden die Baukunst, und eine 
Zeitlang selbst die Bildnerei in den alten ausgetretenen Geleisen der 
absterbenden mittelalterlichen Kunst zurück, und die Malerei allein 
beschritt kühn die neue Bahn. Da nun obendrein die Wandmalerei 
schon während der gothischen Epoche zu Gunsten der glänzenderen 
Glasmalerei verkümmert worden war, so concentrirte sich die ganze 
Thätigkeit auf die Tafelmalerei, die nun ihrerseits wieder den Wett- 
kampf mit der Farbenpracht der Glasgemälde aufnahm. So wendete 
sich der ganze Scharfsinn jener grossen Meister darauf, ein neues 
Bindemittel zu entdecken, oder vielmehr" das bereits bekannte Binde- 
mittel des Oeles so zu vervollkommnen, dass fortan die Bilder durch 
eine früher nie erhörte Leuchtkraft, Glut und Tiefe des Kolorits den 
Beschauer entzückten und ihn mit der Täuschung der Wirklichkeit 
fesselten. Früher als selbst in Italien wurde kraft dieser neuen tech- 
mischen Processe der Malerei die Möglichkeit verschafft, die ganze 
Fülle und Tiefe des Lebens mit unvergleichlicher Wahrheit zu schil- 
dern. Die Gestalten treten vor uns hin, in dem reichen Kostüm der 
Zeit, mit der vollen Pracht der Sammt- und Seidenstoffe, der Damast- 
brokate und der Pelzverbrämung, geschmückt mit Allem, was die 
Kunst der Goldschmiede an edlen Metallen, Perlen und Steinen aufzu- 
wenden vermochte, und diese funkelnde, strahlende Stoffwelt wird mit 
einer staunenswerthen täluschenden Wahrheit dargestellt. Ebenso wird 
in der Erscheinung der Menschengestalt alles Individuelle bis in die 
kleinsten Falten und Runzeln der Haut mit einer Treue wiedergegeben, 
die fast mit der photographischen Genauigkeit wetteifert. Endlich ist 
die Umgebung, seien es die Hallen einer Kirche, die trauliche Be- 
schränkung des Wohnzimmers oder der weite Prospekt städtischer 
Platze und Strassen, mit einer Schärfe zur Anschauung gebracht, dass 
man nicht selten jetzt noch die geschilderten Monumente in der Wirk- 
lichkeit nachzuweisen vermag. Üeber alles Das aber breitet sich der 
blaue Frühlingshimmel und wirft sein Licht über Landschaften, welche 
den Glanz des Lenzes in den frisch grünenden Gebüschen, den Wiesen- 
gründen mit ihren tausend Blumen, den üppigen Massen von Wald- 
und Fruchtbäumen empfinden lässt. 
Während so die niederländische Malerei in ihren Meisterwerken 
die Einzelexistenz des Individuums und die Fülle des Naturlebens mit 
bewundernswürdiger Kraft schildert, aber bei ihrem der nordischen 
Sinnesrichtung eigenen liebevollen Versenken in's Detail sich nicht
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.