Kapitel.
Die Kultur
der
italienischen Frührenaissance.
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dem Gebiet antiker Geschichte und Mythologie an sie heran, und auch
diese werden dann oft noch Völlig phantastisch und romantisch be-
handelt, wie z. B. das naive Bildchen des Parisl-aubes von Benozzo
Gozzoli in der Nationalgalerie zu London. Weit überwiegend ist
während des ganzen 15. Jahrhunderts in beiden Künsten die Anzahl
der kirchlichen Aufgaben; aber in Behandlung derselben ist nur Selten
ein speciiisch kirchlicher Sinn zu spüren, und Naturen wie Fra Gio-
vanni da Fiesole gehören zu den Ausnahmen der Zeit. Der Nach-
druck der Darstellung und das Inteitesse der Künstler liegen fast aus-
schliesslich auf dem künstlerischen Problem an sich, auf der 1'ein
naturalistischen Seite, die der ganzen Richtung der Zeit entgegen kam.
Wenn bei alledem der extreme Realismus nur vereinzelt sich geltend
macht, wenn Anmuth und Holdseligkeit sich oft so rein aussprechen
wie bei Luca della Robbia und den Seinigen, so ist das der stärkste
Beweis für den tiefen Schönheitssinn, der dem italienischen Volksgeist
innewohnt.
Den vollen Eindruck der Zeitströmung gewinnen wir aber erst
in der Malerei. Ihr waren seit der altehristlichen Epoche mit Noth-
wendigkeit die bedeutendsten Aufgaben zugefallen; sie zog aus der
Befreiung des Individuums und dem naturalistischen Streben den grössten
Vortheil. Obwohl auch ihr meistentheils kirchliche Themata gestellt
werden in Altarbildern und weiträumigen Fresken für Kapellen, Sakri-
steien, Kapitelsäle, so bleibt doch ein weltlicher Gedankengang und
eine naturalistische Wiedergabe der Wirklichkeit dabei ihr Hauptziel.
Die ganze Welt der Erscheinungen, vor Allem das Menschenleben in
seiner inneren und ausseren Bewegtheit, von landschaftlicher oder
architektonischer Umgebung eingefasst, ist ihr Gegenstand. Giotto
hatte diesen Weg schon betreten, aber noch mit unzureichenden
Kräften, mit der mangelhaften Naturerkenntniss seiner Zeit. Seine
Werke verrathen nur ein geniales Ahnen, kein Verstehen der Natur.
Aber die Sehnsucht nach einem tieferen Erfassen des menschlichen
Organismus blieb fortan der Malerei eigen. Am Vorgange der Plastik,
die zuerst dieses eindringende Studium nach den Mustern der antiken
Kunst sich zu eigen machte, entzündete sich ein Wettstreit auch für
die Malerei. Sie gewinnt dadurch eine plastische Richtung, die ihr
während der ganzen Dauer der italienischen Renaissance als Grundlage
verbleibt. Leo Battista Alberti ermahnt in seinem Traktat die Künstler,
nicht bloss die äussere Erscheinung sich einzupragen, sondern auch
nach dem Skelett zu zeichnen. Dazu kommen alle jene wissenschaft-