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Buch.
F rührenaissapnce.
Die
ist erst dem subjektiven Bewusstsein möglich. Erst wo dieses sich
frei über seine Umgebung erhebt, die aufgedrungenen Maassstabe der
Tradition bei Seite wirft, ist ein Erkennen der Welt möglich. Dies
führte nun" gerade in Italien zu jener Reihe epochemachender Ent-
deckungen, die ohne den Geist der Renaissance gar nicht zu denken
waren.
Zu den grossen Bahnbrechern gehört Leo Battista Alberti, der,
aus einer alten vornehmen Horentiner Familie entsprossen, den huma-
nistischen Bestrebungen seiner Zeit sich voll Begeisterung anschloss
und als der Erste bezeichnet werden muss, der die neue wissenschaft-
liche Betrachtung der Dinge in das Gebiet der Kunst hineintrug.
Nicht bloss über die Architektur verdanken wir ihm ein grundlegendes
Werk, auch über die Malerei verfasste er einen Traktat, der zum
ersten Male eine wissenschaftliche Begründung dieser Kunst anstrebt.
Welch ein Umschwung der Anschauungen, wenn man diese 1435
vollendete Schrift mit dem nicht lange vorher entstandenen Buche
CenninYs vergleicht. Dort der vertrocknete Mechanismus einer lab-
sterbenden Kunst, die sich in Mittheilung handwerklicher Recepte ge-
nügt: hier das begeisterte Programm der Kunst einer neuen Zeit, die
erfüllt ist vom Hauch des klassischen Alterthums, gesättigt von einer
tiefen fast religiösen Schwärmerei für die Natur, vor allem aber, durch
den Einfluss platonischer Lehren bestärkt, als höchstes Ziel die voll-
kommene Wahrheit und Schönheit anstrebt. Hier ist der Punkt, von
wo aus in die neue Kunstentwicklung die Resultate der humanistischen
Studien als höchstes Lebenselement eindrangen. Am Ende der Epoche
sollte dann der grosse Lionardo da Vinci die wissenschaftlichen und
künstlerischen Bestrebungen in der wunderbaren Universalität seines
Geistes zum Abschluss bringen. Üeberall ist es Wieder die machtvolle
Grösse einzelner zu den leuchtenden Sternen der Menschheit gehörenden
Persönlichkeiten, durch deren Eingreifen auch in der Kunst das Höchste
erreicht wird.
Keine Frage: im künstlerischen Leben sollte Italien das Ideal
der Klassicität erreichen, welches im literarischen Schaffen durch den
zu engen Anschluss an die antiken Vorbilder ausgeschlossen blieb. Es
wurde das hohe Glück der Renaissancekunst, dass von den antiken
Kunstwerken nur Trümmer, ,Bruchstücke, Einzelheiten erhalten waren.
Genug, um die Phantasie mächtig anzuregen, um dem nachforschenden
Geiste Anhaltspunkte zu bieten: nicht genug, um die künstlerische
Schöpfungskraft durch vollständige Muster in Fesseln zu schlagen.