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Die Frührenaissance.
der Circe die herrliche wellenförmige, reichabgestufte Ebene von Mittel-
italien beherrscht, vor Allem die Villeggiatur auf dem Monte Amiata
mit dem Blick eines Malers und der Empfindung eines Dichters schil-
dert. Wie oft hat dieser Papstjn stillen Waldgründen beim Rieseln
klarer Quellen, oder im Schatten uralter Riesenkastanien dem Cousi-
storium präsidirtl Aber auch als aufmerksamer Beobachter der Welt,
als Schilderer fremder Länder und Städte mit ihren Sitten und Ein-
richtungen hat Aeneas Sylvius, besonders auf seinen Reisen in Deutsch-
land, sein Auge geübt und geschärft. Seine Darstellungen Wiens,
Basels, Braunschweigs und andrer deutschen Städte haben noch jetzt
kulturgeschichtlichen Werth. Auch darin War Petrarca vorausgegangen;
wir wollen nur an seine anmuthige Schilderung des Johannisfestes in
Köln erinnern. Der ganze Norden bleibt auch hierin noch zurück,
und Philipp de Comines dürfte der einzige und zugleich früheste
Zeuge einer ähnlichen Richtung auf scharfes Beobachten und Er-
fassen der Zustände und Menschen sein. Um so Wunderbarer gehen
dort die Brüder van Eyck in der Entdeckung der landschaftlichen
Schönheit, in der schärfsten Bildnissdarstellung der menschlichen Ge-
stalt vorauf.
Dass ein so tief erregtes Naturgefühl zugleich mit dem. entschie-
denen Streben nach wissenschaftlicher Erkenntniss der Natur zusammen-
geht, ist begreiflich. Es beginnt mit dem 15. Jahrhundert in Italien
jene grosse Reihe von Entdeckungen und Erfindungen, welche auch.
auf diesem Gebiete die neue Zeit einleiten sollten. Grade diese Be-
strebungen kommen direkt der künstlerischen Entwicklung zu Statten.
So die mathematischen und naturwissenschaftlichen Studien eines Luca
Pacioli und Paolo Toscanelli, die namentlich ftir die Begründung der
Perspektive Bedeutendes leisteten. Der letztere errichtete schon 1467
im Dom zu Florenz seinen berühmten Gnomen. Manchmal sind es
Männer von universeller Anlage, welche die künstlerischen und wissen-
schaftlichen Richtungen in sich vereinigen. Leo Battista Alberti setzte
seine Zeit durch Erfindung einer Camera obscura in Erstaunen, durch
welche er bei Tageslicht und Abends bei künstlicher Beleuchtung die
wunderbarsten Bilder schauen liess. Lionardo da Vinci hat nicht bloss
das Wesen der Malerei wissenschaftlich begründet, namentlich die
Linear- und Luftperspektive vervollkommnet, sondern auch Entdeckun-
gen im Gebiete der Physik gemacht, die ihm einen Ehrenplatz unter
den bahnbrechenden Männern der Wissenschaft anweisen. Auch im
Gebiete der Mechanik und Hydraulik nahm er eine hervorragende