Kapitel.
Die Kultur
italienischen
Frührenaissance.
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der sich im Leben, in der Literatur und Kunst bemerklich macht.
Mit dem Augenblick, wo die Kulturpflege aus den Mauern der Klöster
in die freien Städte, aus den Händen der Geistlichkeit in die der Laien
übergeht, tritt jene Wendung ein. Selbst in der gothischen Archi-
tektur, die den höchsten kirchlichen Gedanken des Mittelalters ver-
körpert, beweist die Ornamentik die erste Rückkehr zur sinnigen
Naturbetrachtung. Denn an die Stelle des seit Jahrhunderten wieder-
holten conventionellen Blattwerks, das sich aus dem Byzantinismus als
letzter Nachklang des griechischen Akanthus vererbt hatte, tritt die
liebevolle Nachbildung der heimischen Pflanzen- und Blumenwelt, so
dass die ersten Herbarien, gleichsam in Stein gehauen, an den Kirchen
des 13. und 14; Jahrhunderts prangen. Denselben Natursinn finden
wir dann in den Liedern unsrer Minnesänger, in Italien aber am ent-
scheidendsten bei Dante. Üeberraschend ist die Fülle und Schärfe der
Naturbetrachtung des grossen Dichters; ja man darf sagen: Natur-
und Menschenleben hat in ihm zuerst einen liebevollen undßscharf-
sichtigen Beobachter gefunden. Und genau dieselbe Richtung lässt
sich bei Giotto erkennen, der darin wie in der ganzen Geistesart dem
Dichter der Divina Gommedia innerlich verwandt erscheint.
Petrarca zeigt sich auch hierin wieder als der erste völlig moderne
Mensch, denn bei ihm wird die Naturbetrachtung sogar schon zur
subjectiven Schwärmerei. Berühmt ist sein poetisches Einsiedlerleben
im anmuthigen Thal von Vaucluse, berühmter noch die Besteigung des
Mont Ventoux bei Avignon. Es ist wohl die erste in blosser Absicht
auf Naturgenuss unternommene Bergbesteigung der modernen Zeit,
obwohl auch darin Dante ihm schon voraufgegangen war. Man em-
pfindet deutlich die leidenschaftliche Sehnsucht des Jahrhunderte hin-
durch im Banne klösterlicher und städtischer Mauern festgehaltenen
Menschen nach dem befreienden Luftzug erhabener Gebirgswelt. Rüh-
rend ist die Schilderung, wie der Dichter, nur von seinem Bruder
begleitet, trotz aller Abmahnung eines alten Hirten die unwegsame
Wanderung unter grossen Mühen bis auf den Gipfel fortsetzt. Wie
er diesen dann erreicht hat, wirkt die unermessliche Aussicht auf ihn
so, dass er, vollends durch eine Stelle aus dem h. Augustinus bestärkt,
in sich einkehrt, seinen Lebenslauf überdenkt und neue Kraft zur
Vollführung seiner geistigen Mission daraus schöpft. Zur vollen Natur-
schwärmerei wird dies Gefühl bei Aeneas Sylvius, der in seinen Schriften
die lieblichen Thalgründe und Hügelketten seiner sienesischen Heimath,
das zaubervolle Panorama vom Monte Cavo, das bis zum Vorgebirge