I. Kapitel.
Kultur
Die
Frührenaissance.
der italienischen
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Jahre als Sekretär an der päpstlichen Kurie angestellt War. Er und
seine Gesinnungsgenossen versammelten sich Abends in einem Gemach
des Vatikans, dem sie den schönen Namen des Bugiale (der Lügen-
fabrik) gaben; hier erheiterten sie sich durch Erzählen skandalöser
Klatschgeschichten und lasciver Anekdoten, und dieselbe Hand, welche
am Tage sich zur Abfassung feierlicher Breves und Bullen bergab,
scheute sich nicht, solche Unsittlichkeiten in den Facetien niederzu-
legen und zu veröffentlichen. Wo möglich noch schamloser war Filelfo,
der in seinen Satiren und Mailandischen Gastmählern ebenfalls im
Obscönen sich mit Lust erging, gleichwohl nicht bloss an den Höfen
zu Mailand und Neapel mit grossen Ehren aufgenommen ward, sich
der Gunst Papst Nicolaus des Fünften erfreute, sondern auch als an-
gesehener Lehrer nach Florenz berufen wurde. Auch Beccadelli ge-
hört in diese Reihe, dessen unzüchtiger "Hermaphroditus" sogar in
den geistreichen Cirkeln am Hofe von Neapel zu allgemeinem Ergötzen
vorgelesen wurde. Nicht minder lasciv sind die Liebesbriefe und die
schlüpfrige Novelle Euryalus und Lucrezia von Eneas Sylvius Picco-
lomini, der nachmals als Pius H. den Stuhl des Statthalters Christi
bestieg.
Und doch: schlimmer als diese Obscönitäten sind die Invectiven
dieser literarischen Freibeuter, mit welchen nicht nur der Eine den
Andern durch die schnöden Anschuldigungen ruchlosester Laster zu
brandmarken suchte, sondern mit welchen sie als wegelagernde Busch-
klepper jeden ehrlichen Mann besudelten, der sich nicht zu einem Geld-
opfer entschliessen mochte. Sie waren aber so gefürchtet wegen der Ge-
wandtheit und Gewissenlosigkeit ihrer Feder, dass Jedermann, dass selbst
die gebildetsten und mächtigsten Fürsten sich durch freigebige Spenden
ihrer zu versichern suchten. Dazu kam noch etwas Andres. Hatte
der fromme Christ des Mittelalters Auferstehung des Fleisches in einem
besseren Jenseits gehofft, so blieb zwar von diesen christlichen Ueber-
zeugungen Manches auch jetzt in Kraft: aber weit mächtiger war in
den Menschen der Renaissance die Sehnsucht nach Ruhm,unach Un-
sterblichkeit des Namens. Diese setzten sie selbst über die Unsterb-
lichkeit der Seele. Die Literaten aber, und mit ihnen die ganze ge-
bildete Welt, waren überzeugt, dass es in ihrer Hand allein liege, diese
Unsterblichkeit zu verleihen. So erhoben sie denn überall von der
Freigebigkeit der Fürsten, Vornehmen und Reichen eine Art von Un-
sterblichkeitssteuer, für welche sie den Ruhm des zu Feiernden durch
widerwartige Schmeicheleien bis in den Himmel erhoben. Entstand