Buch.
Mittelalter.
Das
Monumentalkunst einer höheren Entwicklung ungünstig. Die Malerei
wurde auf ein Sondcrgebiet gedrängt, wo sie zwar im Einzelnen in
liebevoller Treue und schärfster Auffassung der Einzelexistenz sammt
der umgebenden Natur Bewunderungswürdiges leistete, aber die Grund-
elemente monumentalen Schaffens einbüsste.
Anders war der künstlerische Entwicklungsgang in Italien. Hier
wo sich früher als anderwarts die Macht des individuellen Genius er-
hob, vermochte man nur in derjenigen Kunst volle Befriedigung zu
finden, welche das Leben, Denken und Empfinden des Individuums
am vollsten ausspricht. Die Malerei trat daher als selbständige, gleich-
berechtigte Macht der Architektur gegenüber; sogar die grossartige
Üonsequenz der gothischen Baukunst musste sich beugen zu Gunsten
der Lieblingskunst der Nation. So behielt die Malerei die grossen
WandHächen, an denen sie in gedankenreichen Cyclen die Ideen des
Mittelalters verherrlichen konnte, und es entstand eine Gesammtkunst,
die im innigen Verband und der Wechselwirkung der drei Schwester-
künste unvergleichlich dasteht. In ihrem Zusammenhang gewann die
italienische Malerei jene herrliche Entfaltung, in welcher sie die Mitte
halt zwischen dem Plastischen und Musikalischen, das sich in Form
und Farbe ausdrückt. Beides verbindet sie auf ihrer Höhe zu unüber-
troffener Harmonie und Vollendung. Liegt jenes plastische Element
in der vollen Durchbildung der Form, in dem edlen Umriss und Zug
der Linien, in dem tiefen Verstandniss des Organischen, spricht das
Musikalische sich in dem stimmungsvollen Gesammtton der Farben
aus, die durch Vollendetes Helldunkel zur Harmonierverschmolzen Wer-
den, so gesellt sich dazu noch ein hohes architektonisches Gefühl im
Aufbau, in der symmetrischen Gliederung, der rhythmischen Bewegung
der Massen, wie es der deutschen und niederländischen Malerei nur
vereinzelt innewohnt. In der grossen Gesammtkunst, welche in Italien
seit dem Mittelalter angestrebt und in der Epoche der Renaissance
zur Vollendung gebracht wird, bildet die Malerei die Spitze, weil sie
jene Gedanken vollkommen ausspricht, welche die Architektur nur
ahnen lässt, nur anzudeuten vermag, und Welche der Plastik versagt
sind. Aber sie hat das unschätzbare Glück, auf ihrer Höhe auch
die antike Anschauung damit verbinden zu können, die dem Studium
der Natur und des Einzellebens jenen Hauch idealer Schönheit ver-
leiht, der wie ein feiner geistiger Aether über den Gestalten schwebt
und ihnen den Stempel klassischer Vollendung verleiht. Wohl wird
dadurch die speciiisch christliche Empiindung abgedämpft, ja abge-