Volltext: Geschichte der Italienischen Malerei vom vierten bis ins sechzehnte Jahrhundert (Bd. 1)

Kapitel. 
Kultur der italienischen Frührenaissance. 
Die 
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gerührt ward. Der Bischof von Cavaillon liess dasselbe Werk bei Tische 
vorlesen, als wäre es eine erbauliche Heiligenlegende. Schon in seiner 
Jugend ward dem Dichter ein solcher Ruhm zu Theil, dass oft vor- 
nehme und gebildete Italiener und Franzosen nach Avignon eilten, 
bloss um ihn zu sehen und zu bewundern, und dass sie nicht Selten 
kostbare Geschenke voraussandten, um sich bei ihm anzumelden, Am 
rührendsten ist die Geschichte jenes erblindeten alten Schulmeisters 
aus Pontremoli, der selbst dichtete und sich schönwissenschaftlichen 
Studien hingab. Auf seinen Sohn und einen Schüler gestützt, machte 
er die weite Fussreise bis nach Neapel, um den grossen Mann einmal 
zu hören und mit der Hand zu berühren. Und da dieser bereits 
Neapel verlassen hatte, folgte er ihm in derselben mühsamen Weise 
über den schneebedeckten Apennin bis nach Parma, glückselig endlich 
das Ziel seiner Sehnsucht zu erreichen und ihm Haupt und Hand 
küssen zu dürfen. Die Dichterkrönung auf dem römischen Capitol, 
die uns wie ein leeres Theaterstück erscheint, War im Sinne jener 
Zeit der feierlichste Ausdruck der allgemeinen Huldigung. Der Kultus 
des Genius, der modernen Persönlichkeit Ward dadurch besiegelt. 
Die Wirkung, welche Petrarca auf seine Zeitgenossen und die 
Nachwelt ausübte, war eine unermessliche. Er hatte den zündenden 
Funken der Liebe zum Alterthum in die Menschheit geworfen; alles 
was Hoheit der Gesinnung, Streben nach freier menschlicher Bildung, 
leidenschaftliche Sehnsucht nach Ruhm empfand, drängte sich in seine 
Fussstapfen. Vor Allem wurde Florenz jetzt der Mittelpunkt der 
humanistischen Bestrebungen, der Vorort und die Vorkämpferin für die 
Ideen der neuen Zeit. Unter den ersten Nachfolgern Petrarca's steht 
Boccaccio obenan, nicht Wegen seines berühmten Decamerone, in 
welchem er die Novelle zur klassischen Kunstform erhob, sondern 
Wegen seiner Verehrung des grossen Meisters und wegen seiner glühen- 
den Hingabe an das klassische Alterthum. Mit unsaglicher Mühe er- 
lernte er das Griechische, um den Homer in der Ursprache lesen Zu 
können; mit eigner Hand schrieb er die Uebersetzung des ionischen 
Sängers ab, die ihm sein Lehrer hatte anfertigen müssen. Stolz rühmte 
er sich, der erste gewesen zu sein, der die Werke Homers und andrer 
Griechen auf eigene Kosten zuerst nach Toskana habe kommen lassen. 
Wer wird den frivolen Novellenerzähler in dem Heissigen Bücherwurm 
wieder erkennen, der tief in die Nacht hinein bei seinen geliebten 
Autoren sitzt, die er zum Theil, wie den Terenz, eigenhändig abge- 
schrieben hatte; der mühsam die Lesarten vergleicht und allerlei
	        
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