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Buch.
Die Frührenaissance.
Keine Frage, dass in der rastlosen Mannichfaltigkeit dieses
Schaifens, in dem Wahne als Dichter, Philosoph, Historiker, selbst
als Staatsmann Bedeutendes leisten zu können, viel Eitelkeit und Ober-
flächlichkeit mit unterläuft, ja dass die angestrebte Universalität zum
Dilettantismus führen musste. Dennoch war es von epochemachender
Bedeutung, dass durch einen Geist voll hoher Selbstgewissheit die
zünftigen Schranken mittelalterlicher Gelehrsamkeit beseitigt und einem
neuen Bildungsstreben Bahn gebrochen wurde. Vor Allem ist es eine
der grössten Umwälzungen in der Geschichte des menschlichen Geistes,
dass das Recht der freien Subjektivität siegreich behauptet und für
alle weiteren Entwicklungen gewahrt wird. Mit dem selbstbewussten
Individuum erwacht der moderne Mensch; der dumpfe Autoritätsglaube
des Mittelalters bricht zusammen; die Kritik, das Recht der freien
Forschung erhebt sich und lässt sich durch keine Macht mehr nieder-
schlagen.
Wie gewaltig die Persönlichkeit Petrarca's überall zündete und
die Zeit ergriff, davon sind uns genug Zeugnisse bewahrt. Die Höchst-
gestellten der Erde, Papst und Kaiser, Fürsten und Vornehme aller
Länder wetteiferten, ihm Ehrenbezeugungen darzubringen. Der Kanzler
Kaiser Karls IV., Bischof Johann von Olmütz, war bezaubert von dem
Geist und dem Wohlklange der Schriften Petrarca's, und der Kaiser
selbst lud den Dichter dreimal zu sich, um sich an seiner Beredsam-
keit und Weisheit zu erfreuen. Die Republik von Venedig ehrte
ihn durch Ausdrücke der höchsten Bewunderung und nannte ihn in
einem feierlichen Dekrete den grössten Dichter und Philosophen, der
seit Menschengedenken aufgetreten sei. Florenz liess auf Staatskosten
die dem Grossvater Petrarcafs confiscirten Güter wieder einlösen, um
sie dem gefeierten Manne zurückzustellen, und beschloss, an seiner
Universität eine Facultät der humanistischen Studien einzuführen, für
welche man den Mann zu gewinnen suchte, der nach dem Ausdruck
des Dekretes seit Jahrhunderten seines Gleichen nicht gehabt und in
der Zukunft schwerlich haben werde. Besonders stolz war seine Vater-
stadt Arezzo auf ihren berühmten Mitbürger. Als er zum Besuche
dorthin kam, führten sie ihn wie im Triumphe durch die Strassen zu
seinem Geburtshaus, dessen Umbau dem Besitzer untersagt wurde,
damit es als Denkmal des grossen Mannes stehen bleibe. Noch bezeich-
nender vielleicht ist, was uns von der Verehrung Einzelner berichtet
'wird. Ein Arzt aus Sienaewar von Petrarca's Schrift über das Ein-
siedlerleben so ergriffen, dass er an manchen Stellen zu Thränell