Kapitel.
Kultur
Die
Frührenaissance.
der italienischen
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hatte bereits tief in den Geniüthern Wurzel geschlagen und sollte,
wenn auch in ganz andrer Weise, sich im Leben Bahn brechen. Schon
bei Dante nimmt das klassische Alterthum eine bedeutende Stellung
ein. Sein Führer durch die Unterwelt ist nicht mehr der mittelalter-
liche Zauberer Virgilius, sondern der gefeierte Dichter, dem sich der
erhabene Sänger der Divina Commedia innig verwandt fühlt. Gleich-
wohl mischt sich auch in Dante die Vorstellung vom Alterthum seltsam
mit den mittelalterlichen Anschauungen, und man fühlt dem Dichter
bei aller individuellen Kraft und Grösse recht gut an, dass seine geistige
Richtung auf dem Boden der mittelalterlichen Scholastik ruht. Den-
noch webt er sein eigenstes Wesen, Seine Persönlichen Erlebnisse,
Schicksale und Gedanken so vielfach in seine erhabene Dichtung ein,
dass man die Macht einer nach Befreiung ringenden grossen Indivi-
dilalität überall empfindet, und dass wohl niemals eine so wundersame
Mischung mittelalterlicher Grundanschauungen und rein perSönlißller
Stimmungen erlebt worden ist. Im ganzen Norden namentlich wäre
während des Mittelalters eine so machtvoll hervortretende dichterische
Persönlichkeit nicht denkbar gewesen. Genau dasselbe gilt, wie wir
gesehen haben, auch von der bildenden Kunst, die in Deutschland,
Frankreich und England sich zwar wohl mit mächtigen Werken der
Architektur in eigenthümlicher Grösse zeigt, aber nirgends in Plastik
und Malerei, den Künsten des individuellen Empiindens, auch nur von
fern Namen wie Cimabue, Giotto, Orcagna, die Pisani und andre auf-
zuweisen vermag.
Ein Menschenalter nach Dante tritt Petrarca auf. Vierzig Jahre
nach jenem geboren (1804), war er 17 Jahre alt, als der gefeierte
Sänger starb. Als er selbst siebzigjährig die Augen schloss, war ein
gewaltiger Umschwung im geistigen Leben Italiens durch sein unab-
lässiges Ringen eingetreten. Denn zwar feierte schon die Mitwelt in
ihm voll Bewunderung den Dichter, den Sänger der Laura: aber noch
mehr pries sie ihn als den Wiedererwecker des klassischen Alterthums,
und die ganze gebildete Welt nennt ihn den Vater der Renaissance-
Als Charakter tief unter Dante stehend, als Dichter keineswegs ihm
ebenbürtig, hat dieser von Eitelkeiten und Widersprüchen erfüllte Geist
gleichwohl durch die zwingende Macht seines hingebenden Enthusias-
mus das Grösste zur Heraufführilng einer neuen Zeit mit neuen An-
schauungen bewirkt. In ihm zum ersten Male seit Jahrhunderten des
I-Ialbschlafs, in welchem der Menschengeist während des Mittelalters
versunken lag, lebte eine leidenschaftliche Sehnsucht nach der Herrlich-
Lübke, Italien. Malerei. I. 15