Kapitel.
Epoche,
Gothische
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darunter namentlich einen Gekreuzigten zwischen Maria und J ehennes
über dem nördlichen Portale, vom Jahre 1363 und eine umfangreichere
Kreuzigung über dem westlichen Eingange, die wiederum durch kräf-
tigeres Kolorit sich auszeichnet.
Von den übrigen Städten Italiens tritt nur Orvieto mit einer
gewissen Rührigkeit des malerischen Betriebes uns entgegen, Gegen
Ausgang des 13. Jahrhunderts begann man in dieser keineswegs mäch-
tigen oder reichen Stadt, die so malerisch von ihrem steil aufragenden
Felsen in die Waldschluchten des umgebenden Gebirges schaut, mit
einem Umbau des Domes, welchen die Behörden in einem Aktenstück
als „Ehre, Zierde und leuchtenden Spiegel der "Stadt" bezeiehnen
Damit erstand hier eine plastische und malerische Thätigkeit, für
welche man grösstentheils sienesische Künstler herbeizog. Nicht bloss
Giovanni Pisano mit zahlreichen andern Bildhauern war an den Skulp-
turen der Facade betheiligt, sondern auch bedeutende Maler wie Simon
von Siena und später Orcagna wurden herbeigerufen, zum Theil um
die prachtvollen musivischen Bilder auszuführen, deren Glanz, aller-
dings in späterer Erneuerung, noch jetzt von der steilen Höhe herab
schon aus der Ferne dem Wanderer entgegenleuchtet. Ebenso fehlte
es nicht an reicher Ausstattung mit Glasgemalden, die das mächtige
viertheilige Fenster der östlichen Chorwand schmücken. Dazu kommen
zwei grosse Cyclen von Wandgemälden, der eine in der Kapelle des
S. Corporale, inschriftlich 1364 von einem Meister Ugolino aus Orvieto
vollendet. An der Fensterwand zieht sich eine grosse Darstellung der
Kreuzigung hin, darunter rechts die Auferstehung, links die Grab-
legung, letztere besonders von jinnigem Ausdruck. An der rechten
Wand ist das Wunder von Bolsena geschildert, welchem der grossartige
Bau des Doms seine Entstehung verdankt. Der Priester, der am
Altare durch die blutende Hostie von seinem Unglauben bekehrt wird
(bezeichnend genug ist es ein deutscher Kleriker, dem die Legende
solchen Skepticismus aufbiirdetl), berichtet das Wunder reumüthig dem
Papst, der von seinen Kardinälen umgeben ihm Absolution ertheilt.
Dieser befiehlt dem Bischof die Uebertragung der wunderbaren Hostie.
In der zweiten Bildreihe wird geschildert, wie der Bischof in demü-
thiger Verehrung das Corporale empfängt und dasselbe in feierlicher
Prozession einholen lässt. In der dritten Reihe wird es dem Volke
gezeigt, und der Papst befiehlt dem Thomas von Aquino ein Gebet
für die ganze Christenheit zu verfassen. An der linken Wand werden
sodann zahlreiche Wunder erzählt, die sich mit der heiligen Hostic
Liibke, Italien. Malerei. I. 14