Kapitel.
Epoche.
Gothische
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larvten an. Ueberaus lebendig sind hier die Gruppen angeordnet,
charakteristisch die Gestalten bis auf die träumerisch am Boden sitzende
Figur eines bärtigen Orientalen durchgeführt; vortrefßich ist die Per-
spektivische Darstellung der Gebäude. Gleich daneben sieht man in
einer ebenfalls mit grossem Geschick gezeichneten otfnen Halle den
Heiligen mit frommen Mönchen beim Mahle vereinigt.
Mit behaglicher Ausführlichkeit sind sodann auf den beiden fol-
genden Bildern der Tod, die Bestattung und Ueberführung des Heiligen
in den Dom, sowie seine Wunderthaten geschildert. Bei den reichen
architektonischen Gründen fehlt hier nicht der Dom, sammt dem schie-
fen Thurm und dem Baptisterium. Wie sich in den Bildern dieser
Zeit, der Wirklichkeit entsprechend, ja sie noch überbietend romanische
und gothische Formen mischen, so hat der Dom, in dessen Inneres
der Künstler uns blicken lasst, spitzbogige Arkaden, während die
Architektur des Aeusseren ganz treu aufgefasst erscheint. Man sieht
daran, wie an vielem Andern, dass in dieser Kunst die Beobachtung
der Wirklichkeit mit einem freien künstlerischen Walten der Phantasie
sich mischt. Voll Charakter und Leben sind auch hier wieder die
Volksscenen: wie beim Tode des Heiligen sich Alles theilnahmvoll
herandrängt, ein wassersüchtiges Mädchen, von der besorgten Mutter
gehalten, sich an der Leiche niederwirft, wie dann die von Geistlichen
getragene Leiche im Gcleite des Bischofs, der Priester und der Mönche
sowie der städtischen Behörden unter Musik und Kerzenschimmer feier-
lich in den Dom getragen wird, wie auf dem letzten Bilde das Volk
sich zu der in offener Kapelle auf der Bahre liegenden Leiche heran-
drangt, darunter Krüppel und Sieche und besonders eine Mutter mit
einem kranken oder todten Kinde auf dem Schoosse und die ergrei-
fende Figur einer unglücklichen Tobsüchtigen, die mit Mühe von einem
Angehörigen gebändigt wird, das Alles sind Scenen voll Poesie und
Lebenswahrheit. Zum Schluss sieht man noch ein Wunder des Hei-
ligen, der einem von den Wogen umhergeworfenen Schiffe als Retter
erscheint. Üeberaus lebendig ist dabei die angstvolle Thätigkeit der
Schiffsmannschaft geschildert, welche mit allen Kräften bemüht ist, die
Segel zu reffen und zu den Raaen empor zu steigen, während Andre sich
beeilen, Fässer, Kisten und Ballen der Ladung über Bord zu werfen.
Einen anziehenden Gegensatz zu dieser angstvollen Unruhe bilden vier
am Ufer angelnde Fischer. Sie beweisen nebst manchem andern Zuge,
wie sehr es dieser Kunst bereits Bedürfniss war, sich an genrchaften
Episoden zu laben.