Kapitel.
Gothische
Epoche.
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neuen Jünger den Segen ertheilt. Dies alles ist nicht gerade mit
grosser Lebendigkeit, aber doch mit einer gewissen Warme vorge-
tragen. Der Heilige macht sich nun nach dem gelobten Lande auf,
und auf dem zweiten Bilde sieht man ihn zu Schiff, wo seine Reise-
gesellschaft sich vor der wunderbaren übelriechenden Fracht entsetzt;
sie umstehen mit den Gebärden des Ekels die geöffnete Kiste und
geben ihrem heiligen Gefährten Anlass ihnen zu beweisen, dass „vor
Gott alle weltlichen Güter stinken". Dann Sieht man in die offnen
Hallen einer Kirche hinein, wo Rainer vom Priester das Pilgerkleid
empfängt und gleich daneben Almosen austheilt, während auf der
andern Seite ihm Christus erscheint. In einer dritten Scene wird er
in der härenen Pilgerkutte von andern Heiligen vor die thronende
Madonna geführt, die von einem Chor anbetender Engel umgeben ist.
Alle diese Scenen gestalten sich innerhalb desselben Bildes als Episoden,
die nur locker aneinander gereiht sind. Nun folgt das dritte Bild, in
welchem man wieder in einer Reihe von Einzelscenen den Heiligen
nicht weniger als sieben Mal in seinem Pilgergewande erblickt, wie
er vom Teufel versucht und in die Lüfte entführt wird, wie dieser
vergeblich mit Steinen nach ihm wirft und ihn dann lassen muss, wie
Rainer zwei Leoparden beschwichtigt, dass sie wie zahme Hündlein
vor ihm niederknieen, wie dann Christus zwischen Moses und Elias
von Engeln umringt ihm erscheint, so dass vor dem himmlischen Glanz
der Knieende die Augen schützen muss, wie endlich der Heilige am
Eingang einer Kirche von den Mönchen ehrfurchtsvoll aufgenommen
wird und gleich daneben Almosen austheilt. Eine liebenswürdige Ge-
sinnung herrscht in diesen Bildern, und wenn ihre malerische Erschei-
nung nicht mehr erfreulich wirkt, so wird man dafür die starken
Herstellungen, welche sie erfahren haben, verantwortlich machen müssen.
Bedeutender sind freilich die drei unteren von Antonio Veneziano
ausgeführten Bilder, die sich durch grössere Frische, ausgebildeteren
Natursinn, reiche Episoden und prächtige architektonische Hintergründe
auszeichnen. Auch die sorgfältige Behandlung in lichten klaren Tönen
zeugt von der Gediegenheit des Meisters, der unter den späteren Giot-
tisten ohne Frage einer der tüchtigsten ist. Auf dem ersten, grossen-
theils zerstörten Bilde erkennt man nur noch die beiden Schiffe, welche
den Heiligen und seine Gefährten aus dem gelobten Lande zurück-
führen; oben in Wolken erscheint Christus, um dem sich Einschiffenden
den WVeg zu zeigen. Dann sehen wir Rainer vor einer mit zahlreichen
Thürmen und Kuppeln geschmückten Stadt das Wunder an dem
Liibke", Italien. Malerei. I. 13