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I. Buch.
Das Mittelalter.
oft geschilderten Seenen mit grosser Kraft und einer an Giotto erin-
nernden Lebendigkeit des Ausdrucks vorgetragen, reich an frischen
originellen Zügen und, wenngleich nicht frei von alterthümlichen Re-
miniscenzen, doch voll echt sienesischer Anmuth.
Von einem andern Meister Andrea cli Vanni wissen wir, dass er
eine bedeutende Rolle im Staatsleben spielte, mit ansehnlichen Ehren-
ämtern betraut und sogar als Gesandter nach Neapel und Avignon
geschickt wurde, wo er mit der heiligen Katharina von Siena vergebens
bemüht war, den Papst zur Rückkehr nach Rom zu bestimmen. An
den wenigen von ihm erhaltenen Bildern, namentlich einer grossen
Madonna mit vielen Heiligen vom Jahre 1400 in S. Stefano zu N ea-
pel, einer andern Madonna im dortigen Museum und Fresken aus
dem Leben der h. Katharina in S. Domenico erkennt man ihn als
letzten Nachzügler der sienesischen Schule. Mit ihm scheint Bartolo
di Maestro Fredi gelegentlich zusammen gearbeitet zu haben, da sie
im Jahre 1383 eine gemeinsame Werkstätte hielten. Er malte 1356
in der Hauptkirche von S. Gimignano, den Gemälden von Berna
gegenüber, die Geschichten des alten Testaments, die indess zu stark
übermalt sind, um mehr als die nicht sehr lebendigen Üompositionen
erkennen zu lassen. Bei diesen spätsienesischen Meistern merkt man
auffallend, jdass die Impulse, welche der dortigen Kunst das Leben
verliehen hatten, stark auf die Neige gehen.
Als letzten Ausläufer dieser altsienesischen Schule haben wir
Taddeo di Bartolo zu nennen. Geboren um 1363 als Sohn eines Bartolo
di Mino, der seines Zeichens Barbier war, finden wir ihn schon im
fünfundzwanzigsten Jahre mit Arbeiten für den Dom betraut. Er muss
.ein zu seiner Zeit hochgeschätzter Meister gewesen sein, denn nicht
bloss für seine Vaterstadt Siena hat er zahlreiche Auftrage ausgeführt,
sondern auch für Pisa, San Gimignano, Montepulciano, für Perugia
und Volterra, endlich für Genua und Padua war er beschäftigt. Nicht
ohne Selbstgefühl hat er fast immer auf seinen Bildern sich genannt
und durch Hinzufügung der Jahreszahl uns über seinen Entwicklungs-
gang in's Klare gesetzt. Im Jahre 1389 nimmt er an den Berathungen
der Dombaubehörde Theil und später, seit 1412, gehörte er mehrmals
zum hohen Rath seiner Vaterstadt, wo er 1422 stirbt. Er gehört zu
den Künstlern, welche den Stil des Mittelalters in die neue Zeit hinüber-
schleppen, die alterthümlichen Anschauungen im Wesentlichen festhalten,
besonders durch feierlichen Wilrf und edlen Fluss der Gewandung sich
auszeichnen, von den Regungen der neuen Zeit aber ziemlich unberührt