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Buch.
Das Mittelalter.
schaft immer gebieterischer zum Mittelpunkt von Toskana und zugleich
zum Ausgangspunkt für die Neugeburt des künstlerischen und wissen-
schaftlichen Lebens machte, so führte Siena in seiner stilleren abge-
legeneren Lage auf zackigem Hügelrücken mit dem traumhaften Blick
in die köstlichen Waldthäler der Apenninen eine mehr abgeschlossene
Existenz. Aber in Macht und Grösse wetteiferte es damals noch mit
Florenz, Welchem es als Haupt der ghibellinischen Partei und im Bünd-
niss mit König Manfred schon 1260 in der denkwürdigen Schlacht
von Montaperti jene furchtbare Niederlage beigebracht hatte, in welcher
10,000 gefallene Feinde die Walstatt bedeckten, 11,000 in Gefangen-
schaft fielen, und beim siegreichen Einzug in die Stadt die Kriegsfahne
von Florenz, an den Schweif eines Esels gebunden, mitgeschleift wurde.
Noch sieht man im" Dom die Ueberbleibsel der Trophäen. Trotzdem
zerrissen auch hier die heftigen Fehden der Guelfen und Ghibellinen,
die Verfassungskämpfe zwischen dem Adel und dem Volke noch bis
tief in's 15. Jahrhundert hinein die Stadt; aber diese Kämpfe Waren
wie überall in Italien nur die Folge eines Ueberschusses an unge-
bändigter Kraft und vermochten jene jugendfrische Zeit weder in
materiellem Gedeihen noch in der Pflege von Wissenschaften und
Künsten zu hemmen. Ünd so entfaltet sich auch in Siena schon seit
der Mitte des 13. Jahrhunderts das künstlerische Leben zu reichster
Blüthe, und vor Allem im Wetteifer mit dem stets höher emporstre-
benden Florenz. Die stolzen Adelspalaste, mehr noch die öffentlichen
Bauten, besonders der Dom und der Palazzo pubblico, sind Zeugen
des hohen Monumentalsinnes, in welchem sich dies Streben aussprach.
Die Malerei hatte schon im Ausgang der vorigen Epoche in
Duccio (vgl. S. 99 Hi) einen Meister hervorgebracht, der in hohem Schön-
heitssinn die byzantinische Tradition mit neuem Leben zu erfüllen
wusste. In seltsamem Gegensatz zu den erschütternden Katastrophen,
den rastlosen Wechseln des politischen Lebens beharrt nun im 14. Jahr-
hundert die sienesisohe Malerei treuer als eine andere Schule Italiens
bei jener Ueberlieferung. Ein Geist inniger Versenkung, holden Seelen-
friedens, wie er sich in der dortigen Lokalheiligen Katharina auf's
schönste offenbart, erfüllt auch die Malerei von Siena. Weit weniger
auf Darstellung energischen Handelns gerichtet als die florentinische
Kunst, wendet sie sich beschaulich in's Innere und giebt in süssen
seelenvollen Gestalten die Offenbarungen einer mehr passiven Inner-
lichkeit. Anstatt der dramatischen Kunst Giotto's finden wir hier eine
lyrische, in welcher das Element subjektiver Stimmung mit. sanften