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Buch.
Mittelalter.
Das
der prüfende Kellermeister
Wahrheit.
mit
seinen Gehülfen von drastischer Lebens-
Eine der iigurenrcichsten Scenen voll ergreifenden dramatischen
Lebens ist die Auferweckung des Lazarus. Erschütternd Wirkt das
Eingesunkene der halbtodten Züge der mumienhaft eingewickelten
Leiche, und die Art, wie sich die Nahestehenden vor dem Moderduft
zu schützen suchen. Sehr lebendig ist sodann der Einzug in Jerusalem,
besonders im Ausdruck der zujauchzenden Menge. Bei der Vertreibung
der Krämer aus dem Tempel ist es auffallend, wie maassvoll in Christi
Gestalt die Entrüstung ausgedrückt wird. Wiederum eine Scene voll
bedeutsamer Physiognomik ist die Bestechung des Judas: nur wenige
Figuren, verstohlen Hüsternd, der Verräther mit dem arglistig aus-
holenden Blick meisterhaft: charakterisirt, das Ganze noch unheimlicher
durch die schattenhafte Spukgestalt eines Teufels, der sich hinter Judas
geschlichen und ihn bereits umkrallt hat. Auffallend geringfügig in
der Anordnung und unbedeutend in den Charakteren ist das Abend-
mahl, Während dagegen die Fusswaschung der Jünger durch Christus
ungleich interessanter ist. Beim Judaskuss ist vor Allem die gemeine
Arglist, die ihr edles Cpfer umschlingt, hervorzuheben. Etwas gleich-
gültig sind die gedrängten Figuren der Häscher. Dasselbe gilt auch
von der folgenden Scene, "welche Christus vor Kaiphas darstellt, wo
indess der Erlöser selbst voll milder Hoheit erscheint. Auch die Scene
der Verspottung Christi ist nicht von hervorragender Bedeutung, und
dasselbe gilt von der Kreuztragung, obwohl hier eine Anzahl überaus
natürlicher Volksfiguren vorkommen. Ebenso gehört die Kreuzigung
nicht zu den gelungeneren Compositionen, nur die Gruppe der ohn-
mächtig zusammenbrechenden Madonna ist ergreifend. Dagegen steht
der Meister in der Trauer um den Leichnam Christi wieder auf der
vollen Höhe; erschütternder lassen sich die mannigfachen Abstufungen
des Schmerzes nicht Wiedergeben, und die Krone bildet der Lieblings-
jünger, welcher mit ausgebreiteten Armen sich in voller Verzweiflung
über die Leiche seines Meisters stürzt. Ergreifend ist auch auf der
folgenden Darstellung, wie der Auferstandene der flehentlich die Arme
nach ihm ausstreckenden, in die Kniee gesunkenen Magdalena sein
„Noli me tangerea zuruft (Fig. 44), während dicht daneben zwei
herrliche Engel auf dem leeren Grabe sitzen, die Wächter aber vom
Schlafe bewältigt in uniibertreiflieher Wahrheit daliegen. Nicht minder
schön ist dann die Himmelfahrt Christi geschildert, der Erlöser leicht,
wie beschwingt hinaufsehwebend, von köstlichen Engeln und seligen