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I. Buch.
Mittelalter.
Das
drückt sie den Kopf des theuren Mannes an ihr Gesicht und wie
lebendig sind die neugierigen Zuschauer eharakterisirt. Bei der Geburt
Maria haben wir in aller Naivetät eine Scene aus einer damaligen
Florentiner Wochenstube. Zu grösserer Fülle entfaltet sich die Schil-
derung bei der Darstellung Maria im Tempel; würdige und anmuthige
Gestalten als bewegte Zuschauer bilden gleichsam einen Chor um die
handelnden Hauptpersonen. Innig ist namentlich die liebevolle Sorg-
falt der Mutter, Welche, von prachtvoll drapirtem Mantel umhüllt, ihr
Töchterchen die Treppe hinauf dem Priester zuführt. Ebenso lebensvoll
ist die Scene, wie die Freier ihre Stäbe dem Hohenpriester bringen,
dieser die feinen J ünglingsgestalten mit seelenkundigem Blicke prüft
und der graubärtige Joseph sich still abwartend im Hintergrunde hält.
Hier wie in den meisten Bildern ist die hohe plastische Schönheit des
Giottdschen Gewandstils besonders auffallend. Ehrfurchtvolle Scheu,
gespannte Erwartung drücken sich in dem folgenden Bilde aus, wo die
Freier vor dem Altare knieend das YVunder des blüthentreibenden
Stabes erwarten. Lieblich ist die Scene der Vermählung Maria, wo
vielleicht zum ersten Male der seinen dürr gebliebenen Stab am Knie
zerbrechende Jüngling erscheint. Noch festlicher aber das folgende
Bild, WO das Brautpaar nach Hause geleitet wird, und Giotto in den
Gestalten der Jungfrauen eine seltne Schönheit erreicht. vortrefflich
charakterisirt sind die Musiker, die dem Zuge vorauf gehen. (Fig. 43.)
in der Reihenfolge schliesst sich die Verkündigung an, welche
mit ihren edlen Gestalten die Wand neben dem Triumphbogen ausfüllt;
weiter der Besuch Maria bei Elisabeth, wo in der Begegnung der beiden
Frauen, besonders durch die liebevoll und sorglich sich vorbeugende,
die jüngere Freundin umarmende Elisabeth sich das zarteste Empfin-
dungsleben ausspricht. Dann folgt Christi Geburt, namentlich durch
die lebenswahren Gestalten der Hirten ausgezeichnet; weiter die An-
betung der Könige, eine Scene voll festlicher Hoheit. Bei der Dar-
stellung des Kindes im Tempel spricht sich wieder in wenigen Figuren
innige Wahrheit aus, besonders wie die Madonna verlangend die Hände
nach dem Kindehen ausstreckt, das lebhaft von den Armen des Hohen-
priesters zur Mutter zurückstrebt. Bei der Flucht nach Aegypten ist
besonders schön das feste Gottvertrauen, mit welchem die Madonna
ihr Kind an sich drückt, während der vorausschreitende Joseph, der
das Maulthier führende Jüngling und die nachfolgenden Begleiter die
Hast der Flucht trefflich aussprechen. Beim Kindermord ist die leiden-
schaftliche Bewegung der Mutter und die brutale Rohheit der Henker