Volltext: Geschichte der Italienischen Malerei vom vierten bis ins sechzehnte Jahrhundert (Bd. 1)

III. 
Kapitel. 
Epoche. 
Gothisclae 
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vollsten Erzähler und gewaltigsten Dramatiker. YVas früher conven- 
tionell war, streift er hier völlig ab , packt den Gegenstand bei dem 
innersten Kern und schildert ihn nach seinem ethischen Gehalt. Er- 
schütternd, innig, rührend, jede Seeierlstimmung zum vollen Ausdruck 
bringend, giebt er überall im Einfachen, Üngesuchten das Höchste. 
Nur im leidenschaftlichen Schmerz werden die Gesichter biswgilen 
verzerrt. Bei dem Mangel genauerer anatomischer Studien und Kennt- 
nisse ist es immer bloss die allgemeine Andeutung, mit der er wirkt, 
so auch im Colorit; aber diese ist stets von schlagender Gewalt und 
unwiderstchlichem Eindruck. Dabei wirft er überraschende Blicke in's 
wirkliche Leben und zieht selbst genrehafte Motive hinein, die er mit 
solcher Würde zu behandeln weiss, dass sie dem Heiligen, Grossen, 
Historischen keinen Abbruch thun, sondern es nur noch heller in's 
Licht setzen. 
Die Reihenfolge beginnt mit der Jugendgeschichte Maria, die von 
der mittelalterlichen Kunst wegen ihres idyllisch legendarischen Cha- 
rakters stets mit besondrer Vorliebe geschilderhworden ist. Die ersten 
Scenen namentlich zeichnen sich durch die erdenklichste Einfachheit 
und Knappheit der Composition aus, aber auch ebenso durch ergrei- 
fende Macht des Ausdrucks. So in dem ersten Bilde, wo Joachim's 
Opfer verworfen wird, und mit fast ilngläubiger Bestürzung der Zurück- 
gewiescne den Hohenpriester anblickt. Tief bekümmert, ganz in sich 
versunken kehrt er in die Einsamkeit zurück, ohne zu bemerken, wie 
der Hund liebkosend an ihm heraufspringt und zwei junge Hirten ihn 
theilnahmvoll betrachten. Dann erscheint der Engel der im Gebet 
versunkenen Anna, die durch den Gegensatmmit dcr äusserst lebens- 
Wahren Figur der, spinnenden Dienerin an Innigkeit des Ausdrucks 
noch gewinnt. Beim Opfer Joachims ist die ehrfurchtsvolle Scheu 
des am Boden knieenden Greises durch die herrliche Gestalt des Engels 
und den zuschauenden jungen Hirten trefflich hervorgehoben. Die 
Thiere, Welche hier und anderwärts vorkommen, lassen zwar tiefere 
Naturstudien vermissen , sind aber von prägnanter Bewegung. Die 
Landschaften bestehen aus ziemlich conventionellen Felsen, über welche 
einzelne Blumen, Gräser und Bäume verstreut sind; diese aber zeugen 
durchweg wieder von guten Naturstudien. So auch auf dem folgenden 
Bilde, wo Joachim mit ergreifendem Ausdruck tiefsten Versunkenseins 
am Boden kauert und zwei Hirten in Staunen auf den vom Himmel 
herabschwebenden Engel blicken. Ausserordentlich innig ist sodann 
die Begegnung Joachims und Anna's an der goldnen Pforte; wie zart
	        
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