Volltext: Geschichte der Italienischen Malerei vom vierten bis ins sechzehnte Jahrhundert (Bd. 1)

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Buch. 
Das Mittelalter. 
tung und vorurtheilsloser Gesinnung. Denn er, der in Assisi die 
Ordensgelübde, und darunter gerade die Arrnuth zu vcrherrlichen hatte 
und sich so lange und oft in den Klöstern aufhielt, ist weit entfernt 
von der schwarmcrischen Lobpreisung selbstgewählter Armuth, geisselt 
vielmehr die Heuchelei derjenigen, welche die Armuth am meisten 
priesen, und spricht in kühner Weise „von den Wölfen im Schaafs- 
kleidea. S0 hoch stand er über seinen Umgebungen und über den 
mönehisehen Anschauungen der Zeit als freier Künstler da! 
Von seiner öffentlichen Stellung und Wirksamkeit kann man nicht 
gross genug denken. Waren die früheren Meister, selbst Cimabue, in 
ihrem Wirken über Mittelitalien nicht hinausgekommen, so erfüllte 
Giotto mit seinen WVerken die ganze Halbinsel, von Padua und Verona 
bis nach Neapel und Gaeta. Die Städte, die Fürsten, die grossen 
Klöster beriefen ihn wetteifernd und vertrauten ihm die grössten Auf- 
gaben an. Besonders ist es der Franziskanerorden, für den er in 
Florenz, Assisi, Padua, Rimini und an andern Orten thätig war. Dass 
man ihm auch in der Architektur das Höchste zutraute, haben wir 
gesehen, und so eröffnet er die Reihe jener grossen Meister, die bis 
auf Michelangelo das Gesammtgebiet der bildenden Künste beherrschten. 
So gewaltig aber war die zwingende Macht des durch ihn in die 
Kunst eingeführten neuen Stiles, dass derselbe -in kurzer Zeit durch 
ganz Italien zur Alleinherrschaft kam, und dass nie vielleicht ein 
Künstler seine Zeit so mit fortgerissen hat, wie er. Bei seinem Tode 
hinterliess er die Kunst als eine völlig umgewandelte, und so tief- 
greifend war der plötzliche Ruck, mit dem er die Malerei empor- 
gerissen hatte, dass sie fast ein Jahrhundert lang auf dem' Fleck 
stehen blieb, den er ihr erobert hatte. Nicht bloss in der unbedingten 
Nachfolge der Künstler, sondern auch ausserhalb der künstlerischen 
Kreise erkannten schon die Zeitgenossen seine hohe Bedeutung an. 
Wie Dante ihn gepriesen und über Cimabue gestellt, haben wir schon 
gesehen. Auch Petrarca nennt Giotto den ersten Maler seiner Zeit 
und feiert seinen Ruhm neben Simon von Siena als einen gewaltigen. 
Ebenso begeistert spricht Boccaccio, der ihn den besten Maler der 
Welt, eins der Lichter des florentinischen Ruhmes nennt und be- 
sonders seine hohe Naturwahrheit preist. Dies letztere Lob ist das- 
jenige, in welchem Chronisten, Historiker" und. Künstler zusammen- 
treffen, wie denn namentlich Ghiberti in seinem bekannten Commentar, 
und der Maler Cennino Cennini in seinem Traktat grade dies hervor- 
heben, letzterer in sehr bezeichnender Weise, indem er sagt: Giotto
	        
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