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Buch.
Mittelalter.
Das
die selbst bei so gewaltigen Bauten wie S. Croce zu Florenz sich
geltend macht, entspricht dieser Tendenz. Alles wird klarer, verstän-
diger, übersichtlicher, denn schon damals ist das Ideal der italienischen
Kunst nicht ein einseitig architektonisches wie im Norden, sondern es
geht auf eine grosse Gesammtkunst hinaus, in welcher die Plastik und
vor allem die Malerei ihr Wort mitzureden haben.
Ueberblickt man die Reihe der Bauten, die damals in Italien ent-
standen, so erkennt man sofort, dass wohl eine gesteigerte religiöse
Empfindung in ihnen zum Ausdruck kommt, dass aber daneben nicht
minder stark der schon früher beobachtete Ruhmsinn, der patriotische
Wetteifer, die leidenschaftliche Liebe zur eigenen Stadt sich geltend
machen, Nur in Italien konnte damals schon bei einer kirchlichen
Stiftung eine Gesinnung zum Ausdruck kommen wie jene des Gross-
seneschalls Niccolo Acciajuoli, der sein ganzes Vermögen auf die Stif-
tung der Karthause bei Florenz verwendete, indem er hinzufügte:
„Wenn die Seele unsterblich ist, wie der Herr Kanzler sagt, so wird die
meinige, wo ihr auch der Aufenthalt angewiesen werden mag, sich dieser
Stiftung erfreuen." Stolzer Ruhmsinn zeigt sich in den grossen Domen, in
deren Errichtung, besonders seit dem Ausgang des 13. Jahrhunderts, die
mächtigen Städte mit einander wetteifern: Florenz beginnt 1290 und
bezeugt in den Berufungsdekreten der grössten Meister, eines Arnolfo
und Giotto, welche Wichtigkeit die Stadt diesem Unternehmen als
einer künstlerischen Angelegenheit beilegte. Siena errichtet wohl noch
etwas früher seinen edlen Dom, dem dann später (seit 1340) jene ge-
waltigen Pfeiler- und Bogenhallen hinzugefügt wurden, denen der vor-
handene Bau nur als Querschiii" dienen sollte. Aehnlichen Wetteifer
bezeugen die köstlichen mosaikstrahlenden Marmorfacaden zu Siena
und Orvieto; nicht minder der edle Bau des Camposanto zu Pisa
(seit 1278), mit welchem die Stadt die wundervolle Baugruppe ihres
Doms, Campaniles und Baptisteriums zum feierlichen Abschluss brachte.
Kleinere Städte wie Arezzo, Lucca und viele andere bleiben nicht
zurück, und Bologna endlich beginnt mit S. Petronio (seit139O) einen
Bau, der nach den Plänen und der Absicht der Stadt alles Vorhan-
dene an Macht und Grösse überragen sollte. Nicht minder wetteifern
die beiden neu erstandenen Orden der Franziskaner und Dominikaner
mit einander, wie man an S. Croce und S. Maria Novella zu Florenz,
an den beiden Ordenskirchen von Siena, an S. Maria de' Frari und
S. Giovanni e Paolo zu Venedig sowie an vielen anderen Orten er-
kennen kann. _Dazu kommt endlich noch die Ruhmbegier einzelner