Kapitel.
Byzantinisch-Homanische
Epoche.
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zu hervorragender Bedeutung kommen, ist es die Temperamalerei,
welche mit ihren zähen Bindemitteln eine zierliche Sauberkeit des
Vortrags mehr als ein freieres Entfalten der Form begünstigt. Aber
neben der Tafelmalerei übt er in umfassender Weise die monumentale
Wandmalerei, dasjenige Feld auf welchem die italienische Kunst ihre
reichsten Lorbeeren pflücken, ihre höchsten Lebensäusserungen ent-
falten sollte. Dass er ausserdem mit der musivischen Technik wohl-
vertraut war, geht aus dem Umstand hervor, dass er in den letztgn
Jahren des 13. Jahrhunderts zum Hauptmeister der Mosaiken am Dom
zu Pisa ernannt wurde, wo er noch 1302 thätig war. Ebenso ist es
gewiss, dass er nach Assisi berufen wurde, um an der Ausschmückung
der Kirche des h. Franziskus, dieses Gesammtdcnkmals der italienischen
Malerei des Mittelalters, Theil zu nehmen. Keine Frage also, dass
seine Bedeutung weit über den Bezirk seiner Heimath hinaus anerkannt
wurde. Ein Denkmal dieser Anerkennung hat ihm kein Geringerer
als Dante in jenen Versen seiner divina Commedia gesetzt, WO es heisst,
Cimabue sei zu seinen Zeiten der Erste in der Malerei gewesen, und
nur durch Giotto sei später sein Ruhm verdunkelt worden.
Das früheste der von ihm noch erhaltenen Bilder ist eine Altar-
tafel, welche aus Sta. Trinitä in die Sammlung der Akademie ge-
langte. Es stellt die thronende Madonna dar, das Christuskind auf
dem Schoosse haltend, von acht Engeln umgeben, am Fusse die Halb-
figuren von Propheten mit Spruchbandern in den Händen, welche Be-
ziehungen auf die Geburt des Heilands enthalten. Grandios im Stil,
aber noch in strenger Haltung trägt das Bild entschieden das byzan-
tinische Gepräge, das sich auch in der conventionellen Neigung der
meisten Köpfe und in dem zierlich reichen Faltenwurf ausspricht; aber
im Christuskinde verräth sich schon das Streben nach einer gewissen
oifnen Anmuth. Bedeutender und entwickelter ist eine zweite kolossale
Madonna im rechten Querschiff von Sta. M ari a N0 vella. (Fig. 33.)
Die Haltung ist minder gebunden, der sanft geneigte Kopf der Madßnna
mit den grossen Augen, den geschwungenen Augenbraunen, der schmalen
fein gezeichneten Nase zeugt von einem weicheren, individuelleren
Lebensgefühl, das die byzantinische Form durchbricht; die schmal-
sohultrige, wie in sich zusammengezogene Gestalt hat einen Ausdruck
inniger Demuth, die fast unbehülflich erscheint, und ein rührender
Zug von Natur und Empfindung verklärt die noch herbe Form. Das
Christuskindchen auf ihrem Schooss, ganz vom Kinderröekchen ver-
hüllt, hebt segnend die Rechte auf und erscheint nicht ganz frei von