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Kapitel.
den Gebieten der Literatur, wie des täglichen Lebens, künstlerisch
abgespiegclt hat. Mit einer seltnen Vielseitigkeit der Erfindung,
worin ein stets wahres, bald gemüthliches, bald gutmüthig-humo-
ristisches Gefühl hervorlenchtet, verband er eine feine und scharfe
Beobachtungsgabe und daher eine ungemein grosse Mannigfaltig-
keit der Charakteristik. Nur die ganze Welt der Gegenstände,
welche aus dem Kreise des gewöhnlichen Lebens hinausgehen, war
ihm verschlossen. Seine Darstellungen aus dem Kreise der Mytho-
logie, aus dem Shakespeare, z. B. dem Hamlet, machen daher den
Eindruck von Parodien. Obwohl er seinen Figuren meist zu lange
Proportionen giebt, war er übrigens ein sehr guter Zeichner.
Weniger war er mit Farbensinn ausgestattet. Seine Oelbilder,
deren er überhaupt nur eine mässige Zahl gemalt hat, sind daher
etwas kalt und bunt, wiewohl "bisweilen von feiner Beobachtung
der Luftperspektive. Das Hauptmittel für den Ausdruck seiner
Kunst fand er in der Radirnadel, welche er mit einer seltnen Fein-
heit des Gefühls und grösster Zartheit und Meisterschaft zu führen
wusste. Von Bildern kenne ich in Gallerien nur zwei in der zu
Berlin, N0. 482 und 485, Herrn und Damen, welche 'sich im
Freien mit gesellschaftlichen Spielen unterhalten. Man erkennt
darin offenbar den Einiiuss der Bilder des Watteau, Lancret und
Pater, welche der Künstler in den König]. Schlössern in Berlin
und Potsdam gesehen hatte. Seine, sich auf mehr als 1300 he-
laufenden Radirungen schmücken eine grosse Anzahl von Büchern
jener Zeit, Romane, Almanache, Kinderschriften. Ich hebe hier
nur die besonders gelungenen zu Werthei-"s Leiden von Göthe her-
vor. In anderen verfolgte er, gleich Hogarth, eine moralische
Tendenz. Er führt uns die Folgen eines ordentlichen und lieder-
lichen? Lebens, glückliche und sich zankende Ehepaare vor. Ge-
legentlich sehen wir auch den Ausdruck seines patriotischen Ge-
fühls in dem alten Fritz auf der Parade, oder des reinmenschlichen
in der Dßrätellung des unglücklichen Calas, welcher von Seiner
Familie Abschied nimmt. Vor allen verdient eine Mutter, die im
Zimmer mit ihren Töchtern sich mit häuslichen Arbeiten beschäftigt,
den Preis.
Unter den Malern, welche vornehmlich Vorgänge aus dem
Soldatenleben behandelten, sind folgende zwei zu einem allge-
meineren Ruf gelangt.
Georg Philipp Rugendas, geboren in Augsburg 1666,