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Buch.
Kapitel.
sehlichtet, während die Frau, das Lesen in einem grossen Buche
unterbrechend, die Decke von der, im Vorgrunde stehenden Wiege,
worin das Kind schläft, abhebt, für die eines holländischen Zimmer-
manns halten. Das Gefühl des stillen Glücks in engster Häuslich-
keit, welches durch die Tiefe und Kraft des warmen Helldunkels,
wie selbst Rembrandt es nur selten hervorgebracht, noch erhöht
wird, übt indess hier einen eigenthümlichen Zauber aus. Hiezu
kommt die grösste Meisterschaft des Vortrags, das trefflichste Im-
pasto. In der Zusammenstellung der Farben, worin die glühend
rothe Wiegendecke eine wichtige Rolle spielt, erkennt man hier
deutlich das Vorbild des Nicolaus Maes, eines Schülers von Rem-
brandt. Als Beispiele von seiner Auffassung aus dem Leben der
Patriarchen, worin uns das Element der Gemüthlichkeit besonders
wohlthuend entgegentritt, führe ich seine Familie des Tobias, welche
den entschwebenden Engel verehrt, vom Jahr 1637 im Louvre,
N0. 404, und das grosse Bild des Jacob, welcher die Söhne Jo-
sephs segnet, in der, nach so grossen Verlusten von Bildern des
Rembrandt, noch immer für ihn höchst wichtigen Gallerie in Cass el,
N0. 367, vom Jahr 1656 an. Zugleich liefert dieses, mit der, ihm
in dieser Zeit eigenen, sehr grossen Breite behandelte Bild, den
Beweis, dass jenes schwere, grade in dieses Jahr fallende, Un-
glück deslVerkaufs seiner Sammlungen, auf seine Kunstproduction
auch nicht einmal auf frischer That einigen Einfluss aus-
geübt hat. Nur in seltnen Fällen verfällt er in der Darstellung
biblischer Gegenstände in das Widrige und Gemeine. So in dem
grossen Bilde des Simson, welchem die Augen ausgestochen werden,
in der Sammlung des Grafen Schönborn zu Wien. Wenn Rem-
brandt auf solche Weise die historischen Gegenstände der Bibel
ganz in den Formen des ihn umgebenden Lebens behandelte,
so versteht es sich von selbst, dass er ein gleiches Verfahren
bei der Darstellung von Parabeln beobachtete. Das schönste
dieser Art vorhandene Bild ist der barmherzige Samariter, welcher
den Zersehlagenen dem Wirth empfiehlt, vom Jahr 1648, No. 405,.
im L0uvre.1 Diesem schliesst sich würdig ein in der Eremitage
zu St. P eterßburg befindliches, Bild aus der Parabel vom Wein-
garten des Herrn vom Jahr 1637 an, wo sich die Arbeiter bei
dem Haushalter beschweren. Die Hauptliguren dieser Composi-
Kunstwerke und Künstler in Paris S.
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