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Gefühls für das Phantastische, welches, wie wir gesehen, in frü-
heren Zeiten so viele Gebilde der Kunst hervorgerufen hat. Mit
Feinheit bemerkt Kolloff, dass eine ähnliche Art der Auffassung
schon bei Elzheimer vorhanden ist, und derselberdurch Peter Last-
man, seinem Schüler, der ihm hierin verwandt war, auf Rembrandt
eingewirkt habe. Aber auch die düstere Poesie der nordischen
Natur mit gewaltigen Massen schwarzer Regenwolken, deren Schatten
weite Flächen und stille Wasser verdunkeln, welche nur von einem
einzelnen Sonnenstrahl augenblicklich erhellt werden, oder den
glühenden Scheideblick der sinkenden, über die einfachen Formen
der Natur seines Vaterlaudes hinstreifenden Sonne, weiss er in
seinen Landschaften mit der ergreifendsten Wahrheit zu schildern.
Wenn nun, bei einem so beschaffenen Kunstnaturell alle Bilder
des Rembrandt durch die malerische Wirkung, die Wärme, Kraft
und Klarheit der Färbung, die Meisterschaft 41er Behandlung, mehr
oder minder ansprechen, so versteht es sich von selbst, dass sie in
den sonstigen Beziehungen befriedigen, oder abstossen müssen,
nachdem sie durch ihren (Fregenstand, seinen übrigen Eigenschaften
zusagen, oder widerstreben. Bevor wir indcss von der grossen
Menge seiner Werke eine massige Zahl nach diesem Gesichtspunkt
in nähere Betrachtung ziehen, bemerke ich, dass sich unter ihnen
selbst in jenen Eigenschaften, wodurch sie alle ansprechen, in der
Beleuchtung, in der Färbung und der Behandlung, namentlich nach
der Zeit, in welcher sie gemalt worden, ein wesentlicher Unter-
schied vorfindet. In den meisten Bildern bis zum J ahr 1633 herrscht
in den Massen ein helles Tageslicht vor, die Färbung des Fleisches
ist warm und klar, aber noch naturwahr, der Vortrag zwar schon
meisterlich und frei, doch sehr fleissig und, bis auf einen gewissen
Grad, verschmolzen. Das Hauptwerk in dieser Weise ist das be-
rühmte, ursprünglich für die anatomische Anstalt zu Amsterdam
ausgeführte, jetzt im Museum im Haag befindliche, Gemälde, vom
Jahr 1632, wo der Professor Tulp einen Vortrag über Anßtwnie
hält. Die Wahrheit in allen Theilen, besonders in den Köpfen,
die grosse Discretion in der Behandlung eines solchen Gegenstandes,
endlich die ausserordentliche Feinheit der Luftperspektive in dem
verkürzten Leichnam, sind hier vor allem hervorzuheben. Vom
Jahr 1633 an wählte er vorzugsweise jene geschlossene Beleucl1-
tung, in welcher breite, aber klare Schattenmassen einen schla-
genden Gegensatz zu einemrscharf einfallenden, nur einzelne Theile