Volltext: Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen (Bd. 1, Abt. 2)

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Buch. 
4. Kapi 
einer seltenen moralischen Kraft und von einer gewaltigen Energie 
seines künstlerischen Genius, dass die Werke, welche er bald nach 
diesem furchtbaren Schicksal hervorgebracht, keine Spur des Ein- 
flusses desselben verrathen, sondern von derselben Vortrefflichkeit 
sind. Ja er schritt, wahrscheinlich im Jahr 1656 zu einer zweiten 
Ehe und blieb bis zu seinem, in den ersten Tagen des Oktober 
1669 erfolgten, Tode in seiner vollen Kunstthätiglzeit. 
Die für die ganze Kunstanlage der Niederländer charakteristische 
Richtung auf das Realistische, welche in dieser Epoche zum zweiten 
Male zu einer hohen künstlerischen Ausbildung gelangte, brachte 
in Rembrandt die merkwürdigste und eigenthümlichste Erscheinung 
hervor. Der Zug seiner künstlerischen Natur nach dem Wahren 
und nach dem Reiz des Malerischen, welches in der vollkommensten 
Ausbildung des Helldunkels seine grösste Befriedigung fand, war 
so gross, die Abwesenheit des Sinns für Schönheit, oder auch nur 
eine genauere Ausbildung der Form, sowie für Grazie der Be- 
wegung so entschieden, dass er nicht aus Unkenntniss, 
wie man früher geglaubt, sondern vielmehr trotz der Bekannt- 
schaft mit dem Bedeutendsten, was die Kunst in der letzteren 
Richtung hervorgebracht, die ihm von der Natur vorgeschriebene 
Bahn unbeirrt verfolgte. Ausser jenen Eigenschaften der Wahrheit 
und ganz besonders des Malerischen, 1 welches er durch seine 
Werke fürdie ganze holländische Schule zum obersten, 
den Hauptreiz derselben bildenden, Princip gemacht, be- 
sass er aber noch andere grosse Eigenschaften, namentlich eine 
schöne, stylgemässe Anordnung und eine bewunderungswürdige 
Technik. Obgleich jetzt, bei dem Fehlen von Bildern des van 
Swanenburg und Pinas es schwer ist zu ermitteln, was er von 
diesen gelernt hat, zeigen doch die Bilder des Peter Lastman, dass 
er jene Technik nicht ihm verdankt. Höchst wahrscheinlich 
dürfte er sich hierin nach den Bildern des Frans Hals, welche ihm 
in dem, Leyden so benachbarten, Haarlem nothwendig früh zu 
-Gesicht gekommen sein mussten, gebildet haben. Wenigstens zeigt 
der fast beispiellos freie, geistreiche und breite Vortrag Rembrandts, 
dass dafür eine S0 gelingt-z Summe gekommen, wenn nicht damals in Amsterdam 
die Geldnoth und Verarmung so gross gewesen, dass 1500, ja nach anderen 3000 
Hiiuser leer standen. 
1 Dieses hebt schon Sandrart hervor, wenn er sagt, er habe meistens ein- 
fältige und nicht in sonderbares Nachdenken laufende, ihm Wvhlgffälligß lllld 
schilderachtige (d. h. malerische), wie sie die Niederländer nennen, Sachen 
gemacht.
	        
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