Epoche von 1420 bis 1530.
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der Griechen gegenüber, bildeten sie demnach eine realistisch-land-
schaftliche aus. In dieser stehen ihnen nun die anderen germani-
schen Nationen am nächsten, vor allen die Deutschen, zunächst die
Engländer.
Die Schulen der Malerei der beiden anderen Nationen, der
Franzosen und Spanier, erscheinen aber vollends, im Vergleich zu
denen der Italiener imd Niederländer, als secundär, indem sie bald
von dem einen, bald von dem anderen dieser Völker einen starkerr
Einfluss empfangen haben, welcher sich bisweilen in glücklicher--
Weise die Waage hält, von denen aber meist der eine oder der
andere das Uebergewicht hat.
Die hohe Ausbildung des Realismus, wie er uns zuerst in den,
Bildern der beiden Brüder van Eyck cntgegentritt, ist lange Zeit
als völlig räthselhaft erschienen. Dieses hat vornehmlich seinen,
Grund darin, dass die Gemälde der Maler von der ihnen vorher-
gehenden Generation durch den Bildersturm in den Niederlanden im
16. Jahrhundert völlig zerstört worden sind. Um diese vsnmderbarei
Erscheinung so viel wie möglich historisch zu erklären, habe ich
daher zu den Sonlpturen und den Miniaturen, welche den van Eyckkfi
vorausgehen, meine Zuflucht genommen. Und dieses nicht ohne den,
erwünschten Erfolg. Aus einer Anzahl von Grrabdenkmälern mit
Reliefen, welche im Besitz des Hrn. Dumortier zu Tournay befind-
lich, geht nämlich hervor, dass die dort im Mittelalter vorhandene
Schule von Bildhauer-n schon sehr früh diese realistische Richtung
verfolgte und darin gegen die Mitte des 14. Jahrhunderts bereits
sehr weit vorgeschritten war. 1 Die im Jahr 1396 von Olaes Sluter
für den Herzog Philipp den Kühnen von Burgund als Verzierung
des Brunnens der Carthause zu Dijon in Stein ausgeführten, reich-
lich lebensgrossen Statuen von Moses (wonach jetzt „Puits de Moyse"
genannt), David, Jeremias, Zachaiias, Daniel und Jesaias, zeigen
aber eine Ausbildung der realistischen Richtung, eine Naturkennt-
niss, welche mit der auf den Gemälden der van Eyck vollkommen
auf derselben Höhe steht. 2 Es geht hieraus hervor, dass die Bild-
L
1 Besonders wichtig ist das, mit 1341 bezeichnete, Denkmal des D0ct_ors_ der
Rechte, Colard de Seclin, in dem nicht allein die Bildnisse schon ungemein mdl-
vidualisirt sind , sondern auch die Züge des, im Einzelnen nach der Naturß-VISEQ"
bildeten Christuskindes etwas durchaus Portraitartiges haben. S. Näheres 111 me_1-
nem Aufsatz im Kunstblatt von 1848. N0. 1 und 3 Näheres darüber, S0 W13
Übe? die 1404 beendigten Sculpturen desselben Claes Sluter am Grabnmle Herzog
Philipp des Kühnen, jetzt im Museum zu Dijon, in meinem Aufsatz 1m deutschen
Kunstblntt von 1856. Nu. 27.