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Buch.
Kapitel.
führt das Verlassen der Tradition zur Anwendung grell bunter
Farben, unter denen das Zinnoberroth und ein starkes Blau die
Hauptrolle Spielen. Da die schwarzen Umrisse ziemlich mager ge-
macht, dic Farbe der Wangen nur durch rothe Flecke bezeichnet,
die Schatten in den Gewändern nur sehr einfach in der dunkleren
Lokalfarbe angegeben sind, so bringen diese Bilder den Eindruck
von mit grosser Sicherheit und Handfertigkcit gemachten, höchst
bunt illuminirten Federzeichnungen hervor. Nach dem Jahr 1300
spricht dagegen der Gebrauch von mehr gebrochenen Farben, als
bläulich, rosa, bräunlich, grünlich u. s. w., für den Anfang des
Erwachcns des Sinns für Harmonie, und findet sich auch eine
etwas sorgfältigere Angabe und eine zarte Vertreibung von Schatten
und Lichtern vor. Diese Bilder machen schon meh1' den Eindruck
von eigentlichen Gemälden. Die Räumlichkeiten sind nur ange-
deutet. In der Angabe von Architektur sind bald romanische, bald
gothisehe Formen angewendet. Bäume sind von ganz conventio-
neller Form, die Lüfte golden, in den Miniaturen ausserdem schach-
brettartig. In Manuscripten finden sich aber, wie in der vorigen
Epoche, gelegentlich auch blasse, zum Theil viel Eigenthümlvichkeit
des Geistes verrathende Federzeichnungen.
Da jede neue Bewegung in der Malerei von dieser Zeit an von
den Niederlanden ausgeht, welche zu einer eben so grossen Blüthe
gelangten, als in Deutschland, nach dem Jahr 1250 auf lange Zeit
durch Kriege- und gesetzlose Zustände in grösseren und kleineren
Kreisen, eine entschiedene Verwilderung eintrat, so werde ich fortan
meine Betrachtungen stets mit den Niederlanden beginnen.
Das älteste, mit einem Datum versehene Beispiel dieser neuen,
nach grösserer Selbständigkeit strebenden Kunstweise, welches ich
kenne, ist das Manuscript einer Vulgata in zwei Foliobänden auf
der Bibliothek des Seminars zu Lüttich. Die in Initialen vor dem
Anfang gines jeden Buchs befindlichen Bilder zeigen keinen beson-
ders geschickten Künstler, sind aber-wichtig, weil sie durch die
Jahreszahl 1248 beweisen, wie früh diese Kunstart schon in den
Niederlanden ausgeübt wurden ist.
Sehr nahe in der Zeit stehen diesem die in der Kunst ungleich
vorzüglicheren, nur hie und da illuminirten Federzeichnungen in
einem Manuscript der französischen Geschichte Alexander des Grossen
in der Bibliothek der alten Herzoge von Burgund zu Brüssel
(N0. 11040). Die zahlreichen Kämpfe sind ganz in den Waffen und