Epoche von 156
v0 bis 1550.
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seltnen Bescheidenheit, Einfachheit und Langmuth, einer ausseror-
deutlichen Wissbcgier und dem ausdauernsten, im höchsten Grade
bewunderungswürdigen Fleisse. Auch zeigte er gelegentlich einen
gutmüthigen, mitunter etwas derben, Humor, er war lebendig und
angenehm in der Unterhaltung und ungemein üeigebig mit seinen
NVerken, wie er denn seine Kupferstiche und Holzschnitte in gros-
ser Menge verschenkte. So schönen geistigen Eigenschaften ent-
sprach eine edle Gesichtsbildung von sinnigem, wohlwollendcm Aus"-
druck, und eine wohlgebaute Gestalt.
Die Kenntniss dieser Lebensbedingungen, dieser Eigenschaften
ist zu einer richtigen und billigen Beurtheilung Dürers, als Künstler,
zu welcher ich jetzt übergebe, unerlässlich. Als solcher aber steht
er in der natürlichen Begabung auf einer Linie mit den ersten,
einem Lionardo da Vinci, einem Michelangelo, einem Raphael, denn,
wenn er jedem dieser in einigen Stücken nachsteht, so hatte er
wieder andere, welche jenen abgehen, inne. Die seltenste und höchste
Eigenschaft, die Erfindung, war ihm in einem Umfange eigen, wie
sie sonst nur noch Raphael und Rubens zu Theil geworden. Wie
bei jenen erstreckte sie sich nicht nur auf das Gebiet der zeichnen-
den Kunst, in deren verschiedensten Gegenständen, von den höch-
sten Aufgaben der kirchlichen Kunst, bis zu den geringsten Vor-
gängen aus "dem gewöhnlichen Leben, sie grilf auch öfter in das
Reich der Sculptur, bisweilen selbst der Architectur über. Zunächst
war Dürer, wie schon um etwas früher in Italien Lionardo da Vinci,
so in Deutschland der erste, welcher das Bedürfnis-s fühlte, so we-
sentliche Thcile der Kunst, wie die Perspective und die Zeichnung, 1
worin bisher die Künstler nur nach einem gewissen Gefühl verfah-
ren waren, 2 in wissenschaftlichen Werken zu begründen, und wurde
aber war er, nach dem Zeugnisse von Pirkheimer (Reliquien S. 166 sehr un-
zufrieden mit den Spaltungen und Missbräuchen, welche damals, in Folge der
Neuerungen, aus denen sich bis zu Dürers Tode in Nürnberg noch keine feste
evangelische Kirchenordnung hervorgebildet hatte, dort herrschten. Die einzigen
Bilder, in welchen sich ein solcher Einfluss wahrnehmen lässt, sind die vier Apostel
vom Jahr 15:56. Auch in diesen erhellt indess ein solcher mehr aus den, den
Schriften derselben entnommenen, Unterschriften (s. dieselben in dem Werk von
Heller Th. II. S. 202 m, als aus der Art der Auffassung.
1 Vier Bücher von menschlicher Proportion 1528 erst nach Dürers Tode von
B. Pirkhcimer herausgegeben. Aus dem in der Königl. Bibliothek zu Dresden be-
ündlichen Mannseript dieses XVerks geht indess hervor, dass sich Dürer 5611011 im
Jahr 1512 mit der Abfassung desselben beschäftigt hat. S. C. Beckers Aufsatz
1m R. Weigels Archiv für die zeichnenden Künste. 3 In seiner Underweysung
der Messung mit dem Zirkel und Richtscheyt in Linien, Ebenen und ganzen
Corporen 1525" sagt er in der Zueignung an Pirkheimer mit sehr klarem Bewusst-
sein des Zwecks: "Günstiger Herr und freund, man hat byssher in unsern deut-
schen Landen, vil geschickter jungen, zu der kunst der mallerey gethan, die man