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III.
Buch.
Kapitel.
in so früher Zeit als ein Meister von hoher Ausbildung in jener
entschieden realistischen Richtung, die Köpfe haben ein durch-
aus portraitartiges Ansehen, ja- der Körper des Kindes ist sicher-
lich, und zwar mit vieler Sorgfalt, nach der Natur gemalt.
Die Modellirung ist sogar sehr sorgfältig. Nur in den Falten der
Gewänder sieht man noch die weicheren Formen der früheren Zeit.
Dagegen ist die Landschaft schon sehr ausgebildet, und ein Dom-
pfaf, ein Stieglitz und ein Fink mit grosser Naturwahrheit gemalt. 1
Dieses, ursprünglich im Auftrag der Familie Fugger für die St.
Annenkirche zu Augsburg, gemalte Bild, beündet sich jetzt zu
Mergenthau, dem vormaligen Sommeraufenthalt der Jesuiten in
der Nähe der Stadt, im Besitz des Herrn Samm. Ein anderes, mit
dem Namen und 1499 bezeichnetes Bild, in der königl. Gallerie zu
Augsburg, dem wichtigsten Ort für die Meister der Schule dieser
Stadt, welches in der Mitte der Krönung Maria, zu den Seiten die
Geburt Christi und die Enthauptung der heiligen Dorothea darstellt,
hat, merkwürdigerweise, obwohl so viel später, als das vorige Bild,
in der Kunstform etwas Alterthümlicheres, und zeigt viel weniger
Naturstndium, ist übrigens aber von erheblichem Kunstwerth. 2
Sein Sohn, Hans. Holbein der Vater, ist wahrscheinlich etwa
1460 geboren und 1518 gestorben. Er ist der Hauptvertreter der
entschieden realistischen Richtung in dieser Schule, welche er in
der Wahrheit der Auffassung, in der Wärme und Klarheit der Fär-
bung, in der Weiche und dem Schmelz der Malerei, zu ungemeiner
Meisterschaft ausgebildet hat. Man trifft bei ihm die entschieden-
sten Gegensätze an. In den Köpfen Christi, der Maria und mancher
Heiligen findet sich die glücklichste Verbindung von Schönheit der
Form, Hoheit und Reinheit des Charakters, Innigkeit des Ausdrucks.
Unmittelbar neben diesen hat er die naivsten und lebendigsten
Bildnisse und, namentlich bei den Kriegsknechten der Passion, die
tollsten Zerrbilder. Letztere unterscheiden sich indess dadurch zu
ihrem Vortheil von so vielen anderen der Art bei den deutschen Malern
dieser Epoche, dass ihnen ein gewisser Humor inne wohnt. Die
grosse Anzahl seiner noch vorhandenen Bilder beweist, dass es
ihm rasch von der Hand ging, und die grosse Ungleichheit, dass er,
nach ltlaassgabe der Bestellung, gewissenhafter, oder, auch abgesehen
von der Theilnahme seiner Gehülfen, flüchtiger arbeitete. Wie be-
1 Näheres im Deutschen Kunstblatt von 1854. S. 192. 2 Näheres in meinen
Kunstwerken und Künstlern in Deutschland Th. II. S. 16 f.