Epoche von 1460 bis 1500.
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der ganzen, gewählten Sammlung desselben in die Nationalgallerie
zu London gelangt ist. Es ist von seltener Vortrefdichkeit, und
hat in der Auffassung, der Gluth der Färbung, der genauen Durch-
führung des Einzelnen noch sehr viel von dem älteren Rogier van
der Weyden, gehört daher einer Zeit an, in welcher der Eindruck
desselben auf ihn noch ein frischer sein musste. Der ihm eigen-
thümliche Charakter der Köpfe und die wunderbare Innigkeit des
Gefühls spricht sich indess schon sehr deutlich in denen der Maria
und in dem Gottvater, der in der Luft erscheint, aus.
Das bedeutendste, und durch alte Tradition, wie durch seine
Uebereinstimmung mit den Kupferstichen des Meisters, am meisten
beglaubigte Bild von ihm ist indess seine Maria im Rosenhag vom
Jahr 1473 in der Sakristei der St. Martinskirche zu Colmar. Die
reichlich lebensgrosse, mit dem Kinde auf dem Schoosse auf einer
Rasenbank sitzende, Maria ist von höchst edlen und reinen Ziigen
und macht in ihren tiefrothen Gewändern eine leuchtende Wirkung.
So sind auch zwei Engelchen, welche eine Krone über ihrem Haupte
halten, höchst anmuthig. Das Rosengehege mit den darin nistenden
Vögeln vollendet den kindlich-heiteren Eindruck des Ganzen. Dabei
ist der Ton der Fleischtheile klar und warm, die Ausführung sehr tleissig.
Diesem stehen zunächst an Bedeutung zwei Flügel aus dem
Antoniterkloster zu Isenheim, jetzt auf der Stadtbibliothek zu Col-
mar, deren innere Seite die das Kind verehrende Maria und Antonius
den Einsiedler mit dem Stifter, die äusseren, die Verkündigung
Mariä, darstellen. Ausser dem idealischen, und in einem leisen
Sehnen dem Perugino verwandten, Gefühl ist hier beidemal die
Maria, mit gewölbten Augenlidern, auch von ungewöhnlicher, formel-
ler Schönheit. In dem meisterlich modellirten Kinde, welches oifen-
bar mit seltner Treue nach der Natur gemalt ist, macht sich dagegen
der Realismus sehr schlagend geltend. Die warme Färbung steigert
sich in dem sehr würdig aufgefassten Antonius zu einer grossen
Tiefe. In der ziemlich breiten Behandlung tritt hier in der Angabe
der Umrisse das mehr Zeiehnende besonders deutlich hervor. Flüch-
tigere, aber dennoch geistreiche Arbeiten von ihm sind die Abnahme
vom Kreuz und die Grablegung aus einer Folge der Passion an
derselben Stelle, deren zwölf übrige Bilder, nach der oben angege-
benen Art, theils von einem leidlich geschickten, theils von einem
sehr handwerksmässigen Gesellen ausgeführt worden sind.
Waagen. Handb. d. Malerei. I. 12