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III.
Buch.
Kapitel.
Köpfen der Maria und mancher Heiligen wurde jener edle Typus,
und jenes Gefühl jungfräulieher Seelenreinheit beibehalten, aber zu
völligeren und naturgemässeren Formen ausgebildet. In manchen
Köpfen trat sogar eine mehr portraitartige und durch dicke und
starke Nasen keineswegs schöne und sich oft wiederholende Ge-
Sichtsbildung ein. Die meist zu langen Verhältnisse des Körpers
wurden naturwahrer, die einzelnen Formen richtiger und völliger,
die Motive freier. In den Gewändern wurde die Wiedergabe des
Stoffartigen, als Goldstoif, Sammet u. s. w., zwar aufgenommen,
dagegen die scharfen, eckigen Brüche der Falten nur ausnahms-
weise zugelassen. Waifen, Kronen und sonstiges Geräth wurde
mehr individualisirt. In der Färbung wurde weder die Kraft, noch
die Naturwahrheit der van Eyek, in der Ausführung weder die
Modellirimg, noch die Wiedergabe aller Dinge bis zur kleinsten
Einzelheit bestrebt. Indess sind die Farben, bei vielem Gefühl für
harmonische Zusammenwirkung, kräftiger, die Hodellirilng stärker,
der Vortrag weicher, als in der vorigen Epoche. Am wenigsten
folgte man den Niederländern in der genauen Ausbildung der ganzen
Räumlichkeit, sondern begnügte sich mit einer sehr allgemeinen
Andeutung, ja für die Luft wurde meist der Goldgrund beibehalten.
Vor Allem that sich in dieser Zeit in Deutschland die Schule
von Köln hervor und erreichte in Stephan Lochnerl aus Konstanz,
dessen spätere Blüthe von 1442-1451, seinem Todesjahr, fällt, die
schönste Ausbildung ihrer Eigenthümlichkeit. Wenn es auch nicht
zu erweisen, dass er ein Schüler des Meister Wilhelm ist, so hat er
sich doch offenbar nach ihm gebildet. Dieses erhellt besonders aus
seiner Maria im Rosenhag, ein kleines Bild im Stadtmuseum zu
Köln, welches ich mit Hothoz für das frühste der von ihm auf uns
gekommenen Werke halte. Man findet hier noch sehr viel von
Meister Wilhelms Kunstform, so wie von dessen Gefühlsweise, nur
ist Alles lebendiger und naturgemässer, und gerade in dieser Ver-
bindung liegt der eigenthümliche Reiz dieses Bildchens, auf dem
einige liebliche Engel dem Kinde Früchte reichen, andere musiciren,
und das Ganze von wunderbarer Heiterkeit und Helle ist.
Diesem möchte zunächst eine weit überlebensgrosse Maria
1 So, und nicht Lothener, wie Merlo gelesen, heisst dieser Maler nach den
urkundlichen Untersuchungen des I-Irn. Dr. Ennen in Köln. S. das Kölner Dom-
blatt im December des Jahres 1857 und folgende Nrn. 2 Die Malerschule
Huberts van Eyck. Th. I. S. 398.