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III.
Buch.
Kapitel.
treßlich. In dem unteren Theile des Bildes zieht zunächst die
kolossale Gestalt des, mit einem goldnen Harnisoh, wie er in der
Zeit des Malers üblich gewesen, angethanen Erzengel Michael die Auf-
merksamkeit auf sich. Der Ausdruck seiner Züge ist würdig und
von tiefem Gefühl. Alles Obige ist indess in den Hauptsaohen tra-
ditionell. Der Reichthum der Erfindungskraft des Künstlers kommt
erst in vollem Maasse in der Mannigfaltigkeit und Wahrheit der
Motive und des Ausdrucks der Beseligten und Verdammten, wie
der Engel und Teufel, sowohl hier, als auf den Flügeln zur
Geltung. Die feste Zuversicht der ersten wirkt ebenso beruhigend
und wohlthuend auf den Beschauer, als der Ausdruck des Schre-
ckens, der Reue, der Angst, der Verzweiflung der Verdammten
ihn tief erschüttert, Der heilige Petrus, welcher die Beseligten im
Vordergrunde des rechten Flügels empfängt, gehört in Ausdruck,
Motiv, Gestalt und Gewandung zu den schönsten Figuren des
Ganzen. In echt deutscher Weise ist die Himmelspforte als ein
prachtvolles, gothisches Portal dargestellt, welches reich mit schönen,
auf das alte und neue Testament bezüglichen Skulpturen geschmückt
ist. Die Reinheit und Freudigkeit in den Engeln, welche die Ge-
benedeiten empfangen und bekleiden, ist nicht minder gelungen
ausgedrückt, als die Bosheit, die Tücke, die Schadenfreude in den,
übrigens in menschlicher Gestalt ausgebildeten, Teufeln. Aus der
auf dem Leichenstein einer Frau befindlichen Jahrszahl LXVU geht
mit grosser Wahrscheinlichkeit hervor, dass die Beendigung dieses
Werks in das Jahr 1467 fällt. Jedenfalls spricht die zu grosse
Länge und die Magerkeit der nackten, übrigens mit bewunderungs-
würdiger Meisterschaft gezeichneten, verkürzten und modellirten
Figuren für eine etwas frühere Zeit des Meisters, indem auf seinen,
nach den Jahreszahlen einer späteren Zeit angehörigen Bildern
solche Uebelstände nicht mehr vorkommen. Dagegen steht dieses
Bild in Rücksicht der Kraft und Klarheit der Färbung, worin hier
besonders ein Einfluss des Dirk Stuerbout deutlich ist, der sich
gleichmässig über alle Theile erstreckenden Gewissenhaftigkeitund
Meisterschaft der Ausführung auf der vollsten Höhe des Meisters.
Die Aussenseiten der Flügel, worauf, grau in grau, die stehende
Maria mit dem bekleideten Kinde auf dem Arme, welches einen
in ihrer Rechten befindlichen Vogel anfasst, und den Engel Michael
im Kampf mit zwei Teufeln dargestellt sind, haben leider stark ge-
litten. Auch hat der Engel in seinem Motiv: etwas von dem Con-