620
Buch.
Sechstes
Abtheilung.
Zweiter
Abfchnitt.
Allzemeines- Dafs die Landfchaft in der Haarlemer KunPc eine überaus wichtige Rolle
fpielt, ift fchon angedeutet worden. Man kann fogar fagen, dafs Haarlem der
eigentliche Sitz und Mittelpunkt der nationalen, realiftifchen und doch durch-
geiftigten holländifchen Landfchaftsmalerei war. Allerdings werden wir fehen, dafs
einige Hauptmeifier diefer Richtung entweder keine Haarlemer von Geburt waren
oder doch nicht dauernd in Haarlem anfaffig blieben und daher ihre Kunft auch
felbPc nach anderen Städten verpflanzten. Aber es ift trotzdem eine Thatfache,
dafs die Fäden diefer ganzen Kunftrichtung theils in Haarlem zufamlnenliefen,
theils von Haarlem ausgingen, fo dafs wir gerade auf diefem Gebiete des Zu-
fammenhanges wegen den Begriff der Haarlemer Schule durch die Heranziehung
einiger nicht voll zu Haarlem gehöriger Meifter abrunden müffen.
Chalfffkten Wenn einerfeits Meifter wie Savery, Vinckboons, Willaerts den vlämifchen
Landfchaftsfiil nach Holland trugen, andererfeits die Künfller der Elsheimef-
fchen Richtung eine befondere landfchaftliche Auffaffung in Holland heimifch
machten, fo gab es neben beiden doch auch in Holland bereits in der
Uebergangszeit vom I6. ins I7. Jahrhundert einige Meifter, welche, ihren
vlämifchen Zeitgenoffen parallel entwickelt, wie diefe ihre kleinügurigen,
bunten, im Freien fpielenden Volks- und Lebensbilder in eine landfchaftliche
Umgebung von immer gröfser werdender, bald das künftlerifche Uebergewicht
behauptender Bedeutung fetzten, dabei aber, unbekümmert um den eBaum-
fchlaga und die xFarbendreiklängee ihrer vlämifchen Nachbarn, die eigene
Natur mit eigenen Augen anfahen und f1e mit einer gefunden, fchlichten, aus
ihrem eigenen Bedürfnifs entftandenen Technik Wiedergaben. Als einen der tüch-
tigften Meifler diefer Art werden wir in der Haager Schule Adriaen van
de Venne kennen lernen. Zu den Haarlemern müffen wir den ihm vielfach
verwandten Efaias van de Velde Hellen. Noch vor ihm müffen wir jedoch
seeläslen einen etwas älteren und alterthümlicheren Haarlemer Künliler, müffen wir den
noch mehr an feine vlämifchen Fach- und Zeitgenoffen erinnernden Seemaler
Hendrifc Comelzkz Vroom befprechen. Diefer war 1566 zu Haarlem geboren
Seine Art. und wurde am 4. Februar 1640 dafelbft begraben. Er gilt als der Vater der
holländifchen Seemalerei; doch liegt der Schwerpunkt feiner Gemälde noch
öfter in den Schiffen, als in der landfchaftlichen Meeresdarftellung. Seine da-
Sfiiäflulfjgf tirten Bilder zeigen ihn in allmählicher Entwicklung von altvlämifcher Härte
und Steifheit zu gröfserer Freiheit und echter holländifcher Tonwirkung. Das
5311133122123 von 1607 datirte, allerdings nicht als feine Arbeit beglaubigte grofse Bild des
(ven 1601), Haarlemer Mufeums, welches das Verbrennen eines fpanifchen Schiffes in der
Seefchlacht bei Gibraltar (1607) darftellt, ift noch etwas unruhig in der Zeich-
nung, wie in der Farbe. Das blaugrüne Waffer ift wild bewegt, die Luft ift
rauh und fahrig gemalt. Einen bedeutenden Fortfchritt zeigt die erft I6I7 ent-
Ptandene, mit des Künftlers Namen bezeichnete Darftellung derfelben Seefchlacht
Amßijdaxxh bei Gibraltar im Amfterdamer Reichsmufeum. Sie ifl in allen Einzelheiten feft
und kräftig, wenn auch noch hart gemalt. Die See ift grün. Die Luft klar
Tvgafälzäg: und, ruhig. Auf demfelben Boden fleht das von 1623 datirte, ebenfalls bezeich-
nete Bild des Künftlers im Haarlemer Mufeum, welches die Ankunft Leiceflefs
in Vliffigen darftelltj Von der leichtgewellten grünen See hebt die Stadt-
filhouette {ich feft und leuchtend ab. Dunkelgrün erfcheint das Meerwaffer