Die
Malerei
holländifche
Jahrhunderts.
Haarlemer Schule.
Die
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noch in weiteren Kreifen fortwirken, als zu ihren Lebzeiten. Zu Anfang des
I9. Jahrhunderts nur wenig beachtet, wurde Frans Hals im dritten Viertel des-
felben wegen feines durchaus gefunden, wenn auch nicht poetifch verklärten,
fo doch geiftig verarbeiteten Realismus in folchem Mafse bevorzugt, dafs feine
Bilder einigen Künftler- und Kennerkreifen faft den Gefchmack an allen anderen
Gemälden verdarben, und Preife erzielten, wie fie nur für die Werke einer
ganz kleinen Anzahl der am höchften gefchätzten alten Meifter bezahlt WurdenJ)
Ganz neuerdings hat man es daraufhin nicht mit Unrecht wieder für noth-
wendig gehalten, vor einer Ueberfchätzung des Meifters zu warnen?) Glück-
licherweife bedarf Hals auch keiner Mode-Ueberfchätzung; bei unbefangener g.
Würdigung bleibt er, wenn er auch den Gröfsten unter den Grofsen, wie Rem-
brandt, nicht gleichzuftellen iPt, immer noch der grofse Bahnbrecher innerhalb
einer befiimmten Richtung, immer noch einer der urwüchfigften, kräftigflen
Künftler aller Zeiten und Völker. Seine Befchränkung liegt vor allen Dingen
in feinem Stoffgebiet. Er ift zunächft nur Bildnifsmaler; aber gerade er ift der stoggägiet
Hauptvertreter jener Bildnifsmalerei gröfsten Stils, welche, da fie uns tüchtige
Männer einer bewegten Zeit zu lebensgrofsen, künftlerifch angeordneten Gruppen
vereinigt zeigt, unverfehens zur Gefchichtsmalerei wird; und gerade er ifl auch
der Hauptvertreter jener Bildnifsmalerei anderer Art, welche neben den be-
fiellten Bildniffen der Reichen auch unbeftellte Bildniffe der zum Sitzen ein-
geladenen oder zufällig auf der Strafse oder im Wirthshaufe belaufchten Armen
malt und auf diefe Weife, indem fie auch hier die Gruppenbildung bevorzugt,
ebenfo unverfehens zur Sittenmalerei wird. F rans Hals hat daher nicht nur auf
dem Gebiete der Bildnifsmalerei, fondern auch auf demjenigen der volksthüm-
iichen Sittenmalerei Schule gebildet. Eigentliche Gefchichten zu erzählen, war
freilich feine Sache nicht; und ein Theil feiner Gröfse liegt gerade darin, dafs er
diefes eben deshalb auch gar nicht verfuchte, fondern (ich begnügte, alle Perfönlich-
keiten, welche er darzuftellen hatte oder darftellen wollte, vom Fifcherbuben
am Dünenflrande und der Matrofenmutter in ihrer Kneipe bis zu dem vor-
nehmften Patrizier in feinem Landhaufe und zu dem in Sammet und Seide
prangenden adligen Backf-ifch, in ihrer ruhigen Erfcheinung, aber auch in ihrem
eigenften Sonderwefen aufzufaffen, und fie dadurch zu Urbildern ganzer Gattungen
Zu machen. Immerhin aber war Frans Hals' eigene künfilerifche Individualität ftark Auää3ffng_
genug, um in die meiften feiner fo objectiv und realifiifch aufgefafsten Geftalten
doch unbewufst etwas von feinem eigenen Geifte übergehen zu laffen; und da die
Eigenheit feines Künftler-Sonderwefens auf eine durchaus heiteren, gefunden, humor-
vollen Naturanlage beruhte, fo bilden überquellende Lebensluft, ruhige Heiterkeit
oder gar ausgelaffene Lufiigkeit auch den geiftigen Grundton faPt aller Darftel-
lungen aus feiner beften Manneszeit. Das Lachen in allen feinen Abfiufungen vom
ftillvergnügten Lächeln bis zum homerifchen Gelächter hat wohl ausnahmslos kein
anderer Meifler fo überzeugend und fo anfteckend darzufiellen verftanden, wie erß)
I) 1882 bezahlte die Baronin Rothfchild in Frankfurt a. M. nicht weniger als m5 000 Gulden
für das Bildnifs des kleinen Frl. van Berefleijn von der Hand unferes Meifters.
2) Man vgl. Bodzis Bemerkungen in feinen nStudienu S. 78-79.
3) Carl Varmaer, der doch zugleich einer der begeiftertflten Beurtheiler Rembrandts ifl, fagt (a. a.
O. S, 3); nES ift merkwürdig, dafs niemand das Lachen fo wahr gemalt hat wie Hals. Wenn die
Leute bei Rembrandt lachen, dann ift ihr Lachen eine Art Grinfen, zu {tarr und verzerrLu