IIIO
Siebentes
Buch.
Sechster
Abfchnitt.
den grofsen englifchen Privatgalerien iPc Conftable leider, wenigftens fo weit
fie {ich zu Öffnen pflegen, nicht vertreten; in den kleineren mufs aber noch
manches Bild feiner Hand verfteckt fein.
Coziflble John Conftables KunPc giebt uns die befte Erklärung der Urfachen des
Slfäilgndän Eintluffes, den die englifche Malerei des I8. Jahrhunderts und des Ueberganges
z
dgse:9lf?:gr_ ins 19. Jahrhundert im letzten Drittel des letzteren überall gewonnen hat. Der
hunderrs. vielleicht nothwendig gewefene, aber aller Wahrheit und Unmittelbarkeit in
der Kunft die Lebensadern unterbindende Klaffizismus, der {ich durch Winckel-
mann's Einflufs im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts durch ganz Europa
verbreitete, hat in England freilich in dem Bildhauer und Zeichner Yalm Flax-
mmz (I 7 5 5-1826) einen glänzenden Vertreter gefunden, die englifche Malerei
aber doch nur in einzelnen Erfcheinungen leicht und vorübergehend geftreift.
Die Richtung der Romantiker, denen Raphael fchon Verfall bedeutete, wie fie
vor allen Dingen von den deutfchen Nazarenern (Overbeck, Veit, F ührich, zum
Theil auch Schnorr) vertreten wurde, ging im Anfang unferes Jahrhunderts
fpurlos an der englifchen Kunft vorüber, um erft um die Mitte desfelben als
vPräraphaelitismusr hier energifch ihre Schwingen zu verfuchen. Gerade in
der Uebergangszeit vom vorigen Jahrhundert in das unfere war die englifche
Malerei die unbefangenfte, natürlichfte, nationalfie und technifch am vmale-
rifchitenu entwickelte von allen. Die Malerei der übrigen Länder, welche fich nur
allzu oft von den manieriftifchen Vorurtheilen und antinationalen Beftrebungen, die
als klaffiziftifch oder romantifch von den Gelehrten in den Himmel erhoben
wurden, umftrickt fah, fand daher gerade in der englifchen Malerei jener Zeit,
was ihr fehlte, und fah mit ftaunender Bewunderung, dafs die Engländer fchon
in den erften Jahren unferes Jahrhunderts den technifch entwickelten, gefunden
und durchgeiftigten Realismus gepfiegt hatten, in deffen wenigftens vorüber-
gehender, gröfsere Strömungen vorbereitender Pfiege fie das einzige Befreiungs-
mittel aus den Banden erkennen mufste, welche fie umwanden.
Abäillmß Schließlich zeigt die Gefchichte der englifchen Malerei fo gut wie die Ge-
fchichte der Malerei aller Zeiten und Völker, die wir an unferen Blicken haben vor-
überziehen laffen, dafs die unparteiifche, nicht mehr durch Modeilrömungen beein-
Hufste Nachwelt ein fehr gefundes Unterfcheidungsvermögen für Kunftleiüungen
erPter und zweiter Hand hat. Nachahmer und Schüler können manchen
künfllerifchen Tagesbedürfniffen genügen; die Kunftgefchichte darf daher auch
fie nicht übergehen und braucht auch fie, wenn fie in ihrer befchränkten Sphäre
Tüchtiges geleiftet haben, nicht zu verurtheilen. Aber als wirkliche, echte, ganze
Meifler wird fie doch nur diejenigen Künfller gelten laffen, welche Pcets in
engfter und unmittelbarfier Fühlung mit der Natur geftanden haben, welche
die Natur nicht durch die Brille anderer Meifter, anderer Zeiten oder anderer
Völker, fondern mit ihren eigenen Augen angefehen haben, und welche mit
Augen begabt gewefen fmd, die in der Natur etwas Anderes, Sehenswürdigeres
gefehen haben, als diejenigen gewöhnlicher Sterblicher. Der Kunftgefchichte
iPc es dabei ziemlich gleichgültig, ob {ie das Neue, was Iie gefehen und wieder-
gegeben haben, aus der Natur felbfi herausgefehen (Realismus) oder, im innig-