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Buch.
Siebentes
Dritter Ab fchnitt.
Auffaffung aber auch dann nicht abftofsende Gegenftände verfieht Fragonard
mit glänzender, geiftreicher Pinfelführung, in feiner, pikanter F arbengebung auf
Iäläßirf die Fläche zu bannen. Seine meiflen Bilder befinden {ich übrigens noch im
Frßgonarfs- Parifer Privatbefltze. Das Ausland ift zur Beurtheilung des Meifters im Wefent-
Raäfiffgenv liehen auf feine Radirungen angewiefen 1). Berühmt ift feine Radirung vLarmoirea
von 1778: zwei erzürnte Eltern entdecken den Liebhaber ihrer Tochter im
Schranke. Steht Fragonard mit Darftellungen diefer Art fchon ganz auf dem
Boden des wrealiflifchen Genres, fo mufsten wir ihn doch wegen der deutlichen
Nachklänge der Richtungen NVatteads und Boucher's in den meiften feiner
Werke an den Schlufs unferer Betrachtung der mehr oder weniger videalenx
Richtung des Sittenbildes Hellen.
Der eigentliche Vater der realiftifchen Sittenmalerei in Frankreich warg
Jeäiiglff" j7ean-Si17zef0n Clzardin. Diefer ift am 2. Nov. 1699 in Paris geboren, am 6. Dec.
Sein Leben. 1779 dafelbft geftorben 1). Mitglied der Akademie wurde er 1728 als Maler
stäfillin_ von Früchten, Blumen und Stilleben. In der That hat er während der erften
Hälfte feines Lebens hauptfachlich Stilleben, Blumen und Früchte gemalt; und
er hat fie "mit einer Schlichtheit und Wahrheit, hat fie zugleich mit einer
smaäggiiqet, Stofflichkeit und Farbenfeinheit gemalt, wie kein zweiter franzöflfcher Maler.
Während der zweiten Hälfte feines Lebens malte er vorzugsweife bürgerliche
Sittenbilder, wie er ihrer übrigens auch in feiner früheren Zeit fchon einige
ausgeftellt hatte; und auf diefem Gebiete war er einzig in feiner Art, war er
Aufgggsng. Bahnbrecher und kühner Neuerer. Ein gewiffer Muth gehörte in der That
dazu, den blendenden, geiftvollen, die Sinne prickelnden idealpoetifchen Sitten-
fchilderungen Watteau's und felbft B0ucher's die fchlichten Familienvorgänge
des Parifer Bürgerhaufes als Kunfiwerke entgegenzuftellen. Chardins Muth
wurde aber belohnt. Er ergriff und entzückte fein Publikum, wie Watteau
und Boucherdas ihre entzückten. Gerade durch die naive Unmittelbarkeit,
mit der er die" einfachften Scenen des häuslichen Lebens, vorzugsweife auch
Kinderfcenen, erfafste, durch die Reinheit der Empfindung, mit der er fle
wiedergab, fprechen feine Bilder, "die flch zugleich eine wirklich fittengefchicht-
liche Bedeutung bewahren, noch heute zu uns in der Sprache echter Kunft.
MÄPQQL Technifch betrachtet liegt dabei der Schwerpunkt feiner Malerei nicht in der
Modellirung des Fleifches, die oft fchwer ill und zu wünfchen übrig läfst, nicht
in der Stofflichkeit der. Kleidungsftoffe, die er trotz des berühmten blendenden
Weifses feiner Wafche nicht fo fein unterfchied, wie Früchte, Blumen, Gefäfse
und Geräthe, fondern in der zarten, harmonifchen Gefammthaltung feiner
Bilder, deren farbige Geftalten und Vordergrund-Stilleben {ich in der Regel
von fchlicht gehaltenem Wandgrunde abheben. Geiftig betrachtet ffrahlen fie
aber, gerade weil fie treue Spiegelbilder franzöfifchen Bürgerlebens find, auch
ein gutes Stück echt franzöfifchen Geifies wieder; und es ift wohlthuend, zu
I) Fr. de Baudimzar, Le peintre-graveur irangais cöntinuä. Paris 1859-1866, I, p. 157-170:
24 Blatt, darunter I0 nach eigenen Erfindungen, Goncourt a. a. O. p. 365: 26 Blatt, darunter
12 eigene Erfindungen.
2) Haillet de Cauronne: Eloge de Mr. Chardin (1780) in den Memoires inädits I, p. 428-
444. E. (fß f, de Guncourt a. a. O. I (ed. 1880), p, 63-133. Em. Bacfzer: Les gravures
frangaises etc. III: Jean-Baptifie-Simäon Chardin. Paris 1876 (127 Quarkfeiten).