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Siebentes
Buch.
IDritter Abfchnitt.
den Klafficismus in Veiluft gerathen, viele wohl noch heute in fchwer zugäng-
lichem Privatbefltze verfteckt. Um einen Ueberblick über feine bekannten
erhaltenen Werke zu gewinnen, müffen wir uns zunächft an einer Reihe von
Bildern feinen gefchilderten Entwicklungsgang vergegenwärtigen 1), fodann eine
Anzahl der beften Gemälde feiner reifen Zeit betrachten.
frlgffäfäir Zu Watteaus frühen Bildern, in denen er faft als Nachfolger Teniers'
erfcheint, gehören vder junge Savoyardee (auch vLa Marmotter genannt) in der
Peti:rsif;rg_ Ermitage zu St. Petersburg, das durch de Famars Stich mit der Unterfchrift
vLa vraie gaieter bekannte Bild eines vor dem Wirthshaufe tanzenden Bauern-
paares und die fchon deutlicher in Watteau's Eigenart übergehende fchlichte
Landfchaft im Schlofs Friedrichskron bei Potsdam. Von den Soldatenbildern
mkgßzv. der Zeit feines zweiten Aufenthalts in Valenciennes hat fich nur ßder Marfchr,
ein faft farblofes, aber energifch getöntes Bild in der Sammlung des Barons
Edm. Rothfchild in Paris erhalten. Den Uebergang zu den vfetes galantesq
Bilder bilden fchon Gemälde, wie bdie Hirtenr im Schlofs Friedrichskron bei Potsdam,
in Chaxitilly wie vles plaisirs pastoralsr in Chantilly und wle faux pasr in der Sammlung
Lacaze des Louvre. Der Zeit feiner venezianifchen Studien im Haufe Crozafs
gehört das köflliche, leuchtende Bild vjupiter und Antiopee in derfelben
Sammlung an. F all ganz er felbft iPc Watteau fchon in dem vAmour paisiblea
oder i) Amüsement champetrer genannten Bilde im Befitze des deutfchen Kaifers
grlrtäi; (Fig. 656). Die klare, herrliche Berglandfchaft diefes Bildes beherrfcht faft
Kaifer, feinen Gefammteindruck. Dann folgen Werke, wie die duftige wHochzeit im DOffCr
IiVIIILfiSm-u im Soane-Mufeum zu London?) und die leider verdorbeneqßMariee de Villager
in ä-zsägsa im Schloffe zu Sansfouci, wie der ftimmungsvolle bLiebesunterrichtr (Fig. 657)
'und vdas Concertr im Befitze des deutfchen Kaifers, wie vflndifferentr und
im Loum, Dia. F inetter in- der Salle Lacaze des Louvre, und wie das fchöne Bild mit dem
lgfcihäi; Titel wPour nous prouver que cette heller im Befitze des Sir Richard Wallace
Wallach in London. Den Höhepunkt feiner leichten, duftigen, oft faft fkizzenhaft breiten
Malweife diefer Zeit, aber auch den Höhepunkt feiner Liebespoefie in Farben,
in den meiften Beziehungen den Höhepunkt feiner Kunft überhaupt, bezeichnet
dann fein berühmtes Receptionsbild vom Jahre 1717, vdie Einfchifftmg nach
Einfgifgung der Infel Kytheraß, jetzt im Louvre zu Paris. Auch hier "ift eine reiche
Kygfgi im Gefellfchaft gefchmackvoll gekleideter, hübfcher junger Paare, von kleinen
Louvre- Liebesgöttern umfchwebt, unter hohen Bäumen verfammelt gewefen, um in
feliger Unfchuld ihrer Liebe zu geniefsen. Aber der irdifche Aufenthalt unter
der Bildfäule der Liebesgöttin hat ihnen nicht genügt. Sie haben befchloffen,
{ich nach dem Sitze der Göttin felbft, der Infel Kythera, dem Märchenland
ihrer Träume, einzufchiffen. Von zwei kräftigen nackten Ruderern bedient,
liegt links in der Fluth die Barke bereit, die ein Paar nach dem andern
befieigt; einige eilen fröhlich, andere zaghaft hinein, einige fchauen fich um,
einige zaudern noch, eins fcheint zurückbleiben zu wollen. Die Ferne, der fle
entgegenziehen, ift ganz in lichten Goldnebel gehüllt. Aber- das bekümmert
I) Im Anfchlufs an 18. Dokme im Jahrbuch der K. Pr. K. S. IV, 1883, S. 225 ff.
2) Wohl identifch mit der nAccordäe de Villageß, die Dolzmz (in Kunfl und Künßler a. a. O.
S. I0) frageweife in eine Galerie Soave(?) in England verfetzte. Der Verfaffer fah das kößliche
Bild des Soane-Mufeums 1879.