Malerei
holländifche
Die
des
Jahrhunderts.
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Dinge fammt der Luft und dem Licht, Welche {ie umgeben, genau fo auf die
Fläche zu bannen, wie fie fich auf der Netzhaut unferes Auges abbilden; und
die vollendete Darfiellung natürlicher Lichtwirkungen, der vollen Helligkeit wie
des Helldunkels, hat mehr als alles andere eine in diefem Sinne ausgebildete
Pinfelführung zur Vorausfetzung. Die Holländer waren nicht die erften und
einzigen, denen mit Hülfe einer folchen Pinfelführung ein feines Helldunkel dar-
zufiellen gelang; wir haben vielmehr fchon in aller reifen Malerei feit dem
I6. Jahrhundert diefe Eigenthümlichkeit in mehr oder minder ausgebildeter Weife
bewundern können; und wir werden fehen, dafs ein oberdeutfcher Meifter, der
in Rom lebende Frankfurter Adam Elsheimer, gerade den Holländern des I7.]ahr-
hunderts manche Anregung in diefer Beziehung gegeben; aber die Holländer
haben faft alle anderen Völker auf diefem Gebiete übertroffen, jedenfalls mehr
als alle anderen diefes realiflifche Helldunkel zur eigentlichen Grundlage ihrer
künftlerifchen Auffaffung und Darftellungsweife gemacht.
Eben deshalb war diefer Theil ihrer Kunft aber auch zur Ausbildung im Rzfdldffrllß;
Sinne idealiftifcher Verklärung befonders geeignet. Sind Licht und Helldunkel
fchon an f1ch feelifch belebende, unfere Stimmung nach verfchiedenen Richtungen
hin beeinfluffende Elemente, fo hat der Künfller, welcher {ich auf fle ftützt, es
auch in der Hand, ohne dafs der Befchauer die Abiicht immer zu merken braucht,
flch ihrer zur Erzeugung beftimmter feelifcher Stimmungen zu bedienen; und
die holländifchen Künftler haben in der That einen reichlichen Gebrauch von
diefer idealifirenden Kraft des Helldunkels gemacht; ja, ihr gröfster, Rembrandt,
hat es gerade in Bezug auf {ie allen anderen zuvorgethan. Er weifs mit diefem
an {ich natürlichen Mittel den biblifchen und anderen Gefchichten, die er erzählt,
einen wunderbaren, geheimnifsvollen Zauber zu verleihen und felbft feine Dar-
Ptellungen aus dem täglichen Leben, ja feine Bildniffe und feine Landfchaften
der Alltäglichkeit zu entrücken. Dafs nur den Linien und den Umriffen, nicht
aber dem Licht und der Farbe, die doch alles All durchdringen, eine folche
idealifirende Kraft innewohne, wird an {ich kein empfanglicher Beobachter
behaupten Wollen. Gerade die als Realiften von den Einen verfchrieenen, von
den Anderen gepriefenen Holländer aber zeigen durch ihre Verwendung des
Lichtes und des Helldunkels, dafs jeder Kunft, die {ich als echt bewährt hat,
auch der fcheinbar realiftifchften, doch auf irgend einem Wege eine Quelle
idealiftifcher Verklärung zuftrömt.
Dafs diefe holländifche Art, die Dinge zu fehen und zu verklären, übrigens magische
den Dariiellungsmitteln der Malerei am meiften entfpricht, alfo malerifsch im Prinßip-
vollften Sinne des Wortes, ja malerifcher ift, als irgend eine andere Art, liegt
auf der Hand. Wenn wir von vornherein betonten, dafs die holländifche
Kunft des I7. Jahrhunderts in vollem Gegenfatze zu der grofsen altgriechifchen
Kunft ftehe, fo ift das daher nur fo aufzufaffen, dafs, Während die Griechen,
ihrer Umgebung und ihren Anlagen entfprechend, das plaftifche Princip in der
Kunlt am folgerichtigften ausgebildet und daher auch in der Bildhauerei zur
Vollendung gebracht haben, fo die Holländer, ihrer eigenen Landfchaft und
ihrem eigenen Wefen entfprechend, das malerifche Princip am ernfthafteften
durchgeführt und daher auch die Malerei zu einer folchen Entfaltung aller ihrer
Kräfte gebracht haben, wie nur wenige Kunftvölker neben ihnen.