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Sechstes
Buch.
Abtheilung.
Abfchnitt.
Zweiter
Gerard Dou. Gemrd Dou 1) ift am 7. April 1613 zu Leiden geboren und am 9. Februar
Sein Leben. 1675 dafelbft begraben. Nachdem er {ich die Anfangsgründe feiner Kunft bei
feinem Vater und anderen bekannten Meiftern angeeignet, bildete er zwifchen
Ennfijjfung 1628 und 1631 in Rembrandts Werkftatt feine Eigenart aus. Er knüpfte zu-
nächft an Rembrandts frühefte Bilder an, indem er einerfeits kleine Bildnifse,
unter ihnen auch diejenigen von Rembrandts Mutter (z. B. in der Dresdener
Galerie), andererfeits fromme Einfiedler und Büfser, jedenfalls vorzugsweife ein-
zelne Gefialten in kleinem Maafsftabe, in braunlichem Grundton, in feinem
Helldunkel malte. Aus der Lehre des Kupferftechers B. Dolendo, der ihn noch
vor Rembrandt in der Kunft unterwiefen hatte, brachte er eine noch gröfsere
5925553?" Sorgfalt der Durchbildung aller Einzelheiten mit, als er fie von Rembrandt
Renffäädfs hätte lernen können. Gerade indem er, den kleinen Mafsftab faft ausnahmslos 1)
beibehaltend, diefe von keinem erreichte, niemals kleinlich werdende Sorgfalt
der Feinmalerei mit der von Rembrandt übernommenen Feinheit und Wahrheit
des Helldunkels verband, bildete er feine eigene malerifche Technik zu jener
eigenartigen Bedeutung aus, die ihn fchon bei feinen Lebzeiten zu einem der
künäfigfrche berühmteften Maler der Welt machte. Die häuslichen Frieden athmende wGe-
Bedeutung müthlichkeitx feiner faft ausfchliefslich dem bürgerlichen Leben entnommenen,
wenig bewegten, eng umgrenzten Vorwürfe that gerade durch den Gegenfatz, in
dem fie zu der kriegerifchen, wilden Zeit ftand, das ihre dazu, feinen Bildern
einen gewiffen fittlichen Werth zu verleihen, den wir noch heute nachempfinden
Seinmfsealis- Es liegt Dou ebenfofern, uns die Raufereien in den Bauerntrinkftuben, wie die
Atlaskleider und das elegante Treiben der vornehmen Kreife zu fchildern. Er
hält {ich einfach an die ihn felbft umgebende Welt und weifs den gewöhnlichen
Vorgängen einerfeits durch die feine Beobachtung anmuthender feelifcher Stim-
mungen in der Haltung und in den Köpfen der von ihm dargeftellten Geftalten,
andererfeits nicht nur durch die Macht feiner Helldunkeltechnik und Pinfelführung,
fondern auch durch die malerifche Wirkfamkeit feiner Anordnung einen eigen-
ithümlich poetifchen Reiz zu verleihen. In diefer letzteren Beziehung erweifen
Dou und nach ihm alle feine Schüler fich als viel gröfsere Idealiften, als fie fein
Seinmltiealis- wollten. Die Vorhänge, Teppiche, Bücher, Mufikinftrumente, Geräthe aller Art,
mit denen fie den Raum um ihre dargeftellten Figuren malerifch auszufüllen
liebten, flnd in der Anordnung niemals der zufälligen Wirklichkeit abgefehen,
fondern in der Werkftatt des Meifters eigens nach, malerifchen Gefichtspunkten
zufammengeftellt worden; und felbPc das D0u's Gefialten fo oft umrahmende
offene Bogenfenfter mit feiner in erhabener Marmorarbeit gefchmückten Brüftung,
durch welches er uns in das matt erleuchtete Innere des Zimmers hinter
den Hauptgeftalten hineinblicken läfst, ift durchaus nicht holländifch, durch-
aus nicht realiftifch, fondern eine der Bildwirkung zu Liebe entitandene freie
Schöpfung der Einbildungskraft des Künftlers.
Sein Leben.
Seine
Entwicklung.
I) Yolzn Smith Catalogue I (1829) p. 1-45. Suppl. (1842) p. 1-24. 218 Bilder. Archi-
valifches: Obreevfs Archief V, p. 26- 50; p. 178, 198, 259, 343, 345.
2) Ueber fein grofses Bild des blinden Tobias, der feinem Sohn entgegen geht, im Wardour
Caüle vgl. Waagen, Handbook, ed. Crvwe, London 1874 p. 406
3) Diefern Gedanken hat befonders C. Lemcke in feiner Arbeit über den Meifler in Dolzme";
uKunft und KünPclera hübfchen Ausdruck verliehen.