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Buch.
Sechstes
Abtheilung.
Zweiter Abfchnitt.
das Verftändnifs feines Schaffens. Das Motiv der kreuzlofen judengrabmäler
entnahm er in der That dem judenkirchhof bei Amfierdam. Die Grabmäler
fand er, wie ein Stich nach einer Zeichnung feiner Hand beweiPc, ungefähr in
derfelben Anordnung, wie er {ie dargeftellt, auf diefem judenkirchhof Vorl),
Alles übrige that er hinzu. Gleichwohl hatte er alles übrige einzeln auch der
Natur abgefehem an Backfteinruinen, wie er ihrer eine hinter den Grabmälern
anordnete, war fchon Holland felbft damals, nach den Kriegen, nicht arm.
Noch heute fteht die Ruine Brederode bei Haarlem ähnlich da. junigrüne Eich-
bäume, wie er ihrer einen zur Rechten aufftellte auf die Zeit um Mitte Juni
deutet auch der blühende Flieder an den Gräbern und kahle, abgeftorbene
Bäume, wie er ihrer einen vor den üppig grünenden fetzte, hatte er zu hunderten
nach der Natur Ptudirt. Reifsende, über Felsblöcke fchäumende Bergwäffen-
wie der Strom, der links durch die Gräber brauft, konnte er felbft im Bereiche
feiner Studienwanderungen genug gefehen haben; dazu brauchte er nicht ein-
mal die norwegifchen Studien feines Freundes Everdingen; nur am Amfterdamer
judenkirchhof hatte er einen folchen wafferfallartigen Bergftrom {icher nicht
gefehen. Und was machte Ruisdael nun mit allen diefen Einzelmotiven? Er
{tellte f1e zu einem ganz neuen, ganz eigenartigen, nur aus der Künfilerphantafie
geborenen Gefammtbilde zufammen, wie es feines gleichen nicht hat; und zu-
gleich macht er die Empfindung der Vergänglichkeit alles Irdifchen, Welche die
Betrachtung jener Amfterdamer judengräber in ihm angeregt haben mochte,
in poetifch gefieigerter Weife zur geiftigen Grundidee feines Landfchaftsbildes.
Die Vergänglichkeit aller Menfchen und alles Menfchenwerkes, ja felbft der
Ptlanzengebilde der organifchen Natur ift weder in Worten, noch in Farben
jemals fo eindringlich gefchildert worden wie hier. Das {iattliche Gebäude im
Mittelgrunde ift längft zur Ruine zerfallen; der fiattliche Eichbaum im Vorder-
grunde ift längft entblätterL und abgeftorben; die Todten in ihren Sarkophagen
ruhen dort, wer weifs wie lange fchon in ihrer Abgefchiedenheit; aber felbft
ihnen gönnen die raftlos zerftörenden Naturgewalten dort keine Ruhe; ein vom
Regen und Sturm gefchwellter Bergbach wühlt {ich mitten durch den Friedhof
feine Bahn und reifst felbft die Gräber und reifst felbft die todten Baumfiämme
mit hinab; und kohlfchwarz ballen am Himmel {ich die Wetterwolken; der
Sturm, der mit ihnen heranbrauft, mag die Bäume zerknicken, vielleicht die
Mauern mit den öden Fenflerhöhlen umftürzen, der Regen wird den Strom
noch höher fchwellen; alles wird dem Erdboden wieder gleich gemacht werden,
alles mufs ins Urchaos zurückkehren. Matt nur, einem fchwachen Hoffnungs-
{trahle Vergleichbar, wölbt der Bogen des Friedens {ich links vor dem fchwarzen
Vergleich Gewölk. In unferer realiftifchen Zeit giebt es natürlich Kenner, welche Bilder
dQi-ciiijiilig- diefer Art für eine Verirrung Ruisdaels halten und ihnen gegenüber auf die
JZJEÄFEEJZ, köfilich naturwahren, einfach der Wirklichkeit abgefehenen Landfchaften des
Bildern" Meifters, wie {ie z. B. als rSchlofs Bentheime, als nder Waldwegrr und als
w der Eichenhügelx in der Dresdener Galerie neben dem xjudenkirchhofa hängen,
als auf die einzig gefunden Werke des MeiPcers hinweifen. Streiten darüber nützt
I) Stich mit den Unterfchriften: Begraefplaetz
rlae! inzl. A. Blatelingh feril et exr. 1670.
der
faden
Amflenianz.
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11411