Buch.
Fünftes
Zweiter Abfchnitt.
Aether fchwimmenden Halbmond, manchmal auch auf dem Erdball fiehend, von
Wolken und Licht, Engeln und Engelköpfen umgeben in der Glorie fchwebend,
mit gefalteten Händen inbrünftig nach oben blickend, darfiellen und unter dem
Vorwande, die vimmaculata conceptioii, die unbeHeckte Empfängnifs zu ver-
Iinnlichen, die Apotheofe der Muttergottes und die heiligfte Durchgeiftigung der
fchönften NVeiblichkeit überhaupt geben. Doch find die verfchiedenen Dar-
ftellungen diefer Art, die Roelas gefchaffen, nur erft Vorftufen der herrlichen
ähnlichen Gebilde Murillds, die wir fpäter kennen lernen werden.
Fr. Pacheco. Francisco Paclzeco fpielt in der fpanifchen Kunfigefchichte eine gröfsere
Rolle wegen feiner vielfach anregenden Perfönlichkeit, feiner Schriften und feiner
Stellung als Bevollmächtigter der lnquifitioil in der Ueberwachung der Ortho-
Sein Lebmdoxie der Gemälde, als wegen feiner eigenen Werke. Er war um 1571 in
Sevilla geboren, lernte hier, wie fchon erwähnt, bei dem Raphaeliften Luis
Fernandez, ging 1611 zu feiner weiteren Ausbildung nach Madrid, gründete
nach feiner Heimkehr eine Schule in feiner Vaterfladt, verweilte von 1623 bis
1625 mit feinem Schüler und Schwiegerfohne Velazquez abermals in Madrid,
verbrachte dann aber den Reit feiner Tage in hochangefehener Stellung und
hauptfachlich mit fchriftftellerifchen Arbeiten befchäftigt wieder in Sevilla, wo
Sein Stil. er 1654 fiarb. Als Maler ging er urfprünglich von dem nüchtern italifirenden
Stile der Nachfolger des Luis de Vargas aus, ftrebte jedoch, nachdem er in
Madrid die Werke Tizians gefehen, nach gröfserer Frifche und Breite, leider
nur mit geringem Erfolge; denn feine eigenen Arbeiten verrathen nach wie vor
ein handgreifliches Mifsverhältnifs zwifchen Wollen und Vollbringen, zwifchen
Wiffen und Können. Sie find hart und trocken in den Linien, wie in den Farben,
Seine Bilder fchwach in den Formen und im Ausdruck. Hauptfachlich kann man fie in den
h, Sevilla, Kirchen Sevilla's verfolgen; fein anerkanntes Hauptwerk iPc hier das 1612 vollen-
dete jüngfte Gericht in Santa Isabel; aber fchon in den Mufeums-Bildern diefer
Stadt, wie der vConcepciona und der Scene aus dem Leben des heiligen Pedro
Nolasco, offenbart der Meifier {ich in feiner ganzen Unerquicklichkeit; und die
in Madmrvier 1608 gemalten Heiligenbilder des Madrider Mufeums werden vollends
niemand für ihn einnehmen. Seine Hauptbedeutung liegt in feinem auch für die
Seine zeitgenöffifche Malergefchichte wichtigen Buche vArte de la Pinturae , welches
Schrifmb 1639 in Sevilla erfchien, heute aber kaum noch aufzutreiben ift. Pacheco fpricht
neben manchen ewiggültigen Wahrheiten in diefem Buche noch mehr Thorheiten
Seine Vor- einer befchränkt pfafüfchen Schulweisheit aus. Für Alles hat er Vorfchriften,
fchrifm bis edi die Farben, in die jeder Heilige gekleidet fein follte, bis auf die Gröfse
und Geftalt des heiligen Kreuzesßammes und aller Attribute der Heiligen bis
auf die Mienen und Geberden, die allein feligmachend feien. Das Buch entfprach
dem Herzensbedürfnifs der Spanier jedoch in fo hohem Mafse, dafs es auf lange
Zeit hinaus claffifche Geltung behielt und die fpanifche Malerei es in der Folge
verftand, ihren ftärkflen Naturalismus und ihre individuellfte Empfindung mit
feinen Vorfchriften in Einklang zu fetzen. Ein Glück war es nur, dafs diefer
Naturalismus und diefe Empfindung unter Pachecds Nachfolgern fo hinreifsend
auftraten, dafs der heutige Befchauer auch ihren religiöfen Darfiellungen die
ängftliche Vorfchriftsmäfsigkeit beim erPcen Blicke nicht anmerkt.