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Sechstes
Buch.
Abtheilung.
Erfler Abfchnitt.
äggälgsäg Thatigkeit ganz dem Dienfie der kirchlichen Kunfi; kaum aus der Werkfiatt
Kirche- eines anderen Meifiers find fo viele grofse Altarblätter hervorgegangen, wie aus
der feinen; und kaum ein Anderer verliand es in gleicher Weife, wie er, dem
künfitlerifchen Bedürfnifs der Kirche feiner Zeit, das Ueberfinnliche finnlich
greifbar und fafsbar zu machen, zugleich mit folch religiöfem ErnPc und folch
gefunder, mächtiger Sinnlichkeit Rechnung zu tragen, wie er. Als treuer Diener
der Fürftenhäufer, unter deren Schutz er lebte, widmete er ferner einen grofsen
Theil feiner Thätigkeit der Verherrlichung der Grofsen der Erde und ihrer
Thaten, fchmückte er zugleich ihre Schlöffer mit jenen üppigen weltlichen Dar-
fiellungen, in denen fein Schönheitsgefühl und feine Natürlichkeit {ich ohne
Nebengedanken und ohne geiftlichen Dämpfer in ihrer ganzen Reinheit als
Selbfizweck ausfprechen.
Neben dem Kirchendienft und dem Herrendienft fand er, mächtig produktiv
wie er war, aber noch Zeit genug, auch als Künftler fein eigener Herr zu fein.
Räilfägffsfls Dann malte er die Bildniffe feiner Angehörigen und feiner Freunde; und er
malen malte fie mit der feinfien Beobachtung ihrer individuellen Charakterunterfchiede,
er ftattete fie mit dem grofsartigfien Lebensgefühle aus l). Dann malte er, der
21131323?" ein leidenfchaftlicher Liebhaber der Thierwelt war, wilde Thiere und feurige
Roffe, Löwen- und Eber-, Wolfs- und Hirfchjagden; und nirgends zeigt fich
die ungeftüme frifche Kraft feiner Natur fo völlig aller conventionellen Rück-
fichten ledig, wie in diefen von gewaltigftem Leben erfüllten Iagdllücken, in
denen kein anderer Maler der Welt ihn auch nur von ferne erreicht hat.
fciffäfrgjtr Dann malte er endlich auch Landfchaften ihrer felbft willen, feltener ideale
Bilder einer füdlichen Natur mit heroifcher Staffage, als die heimifche, fchlichte
Natur feines Vaterlandes, die er in allen ihren atmofphärifchen Stimmungen
zu belaufchen und mit leidenfchaftlichem inneren Leben zu erfüllen verftand;
und er wirkte bahnbrechend und umgeftaltend auf dem Gebiete der Landfchafts-
malerei, wie auf allen anderen. Alles, was er in Angriff nahm, gelang ihm;
und Allem drückte er den Stempel feines eigenen Geiftes auf.
Willig folgte feine Hand allen Eingebungen feines Geifies, und feine
malerifche Vortragsweife richtete fich nach den'Stoffen, die er behandelte,
nach dem Endzwecke feiner Aufgaben und nach der Gröfse feiner Bildflächen.
Sie ift immer keck und frifch; im Verhältnifs zu glatter und geleckter Technik
immer breit und lebendig; zugleich aber von faft minutiöfer Feinheit in den
Ausnahmefällen, in denen er kleine Bilder malte, von malerifcher Kraft und
doch zugleich von liebevoller Sorgfalt in den eigenhändigen Hauptwerken,
welche von Nahem betrachtet und gewürdigt werden follten, von faft flüchtiger
und fahriger Breite aber in den dekorativen Arbeiten, welche für die Beurtheilung
fjägfusggä; aus gröfserer Ferne befiimmt waren. Uebrigens laffen fich gerade auf dem
Gebiete der malerifchen Technik im' engeren Sinne des Wortes weit deut-
lichere zeitliche Stilwandlungen des Meifiers unterfcheiden, als auf irgend einem
anderen. Seit er nach beendeten Lehr- und Wanderjahren {ich als grofser
Meifter in der Stadt feiner Väter niederliefs, blieben fein Stoffgebiet, feine
I) Nichts fcheint uns ungerechler, als die Behauptung des geifireichen Franzofen Eug. fäwuevzlirz.
vSes portraits sont faibles, peu observäs, superliciellement construits, et pourtant de ressemblance vaguea.
vLes Maitres Jautrefoisu, 4. 6d. Paris 1882, p. III.