Malerei
vlämifche
Jahrhunderts.
Rubens.
Peter Paul
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Sprunges hat kein Künftler fo anfchaulich zu fchildern verfianden, wie er. Die
ruhige wExiPcenzmalereia feiner venezianifchen Vorbilder ifi: feine Sache gar
nicht. Ein mächtiges dramatifches Leben wogt in feinen grofsen Darftellungen.
Man hat ihn daher auch mit Recht feinem etwas älteren Britifchen Zeitgenoffen
verglichen und den Shakefpeare der Malerei genannt. Mit fpielender Leichtig-
keit verfmnlicht er uns jede Handlung, die er darftellen will; aus dem bunten
Figurenreichtlmm feiner Compofitionen, die er auch perfpektivifch und rhythmifch, äftjgfioiggf"
meift mit aufgehobener Symmetrie, meifterhaft beherrfcht, weifs er uns den Kern
des Vorganges klar herausgefchält in den Vordergrund zu rücken. Handlungen
mit äufseren Bewegungsmotiven kommen dabei unter feinen Händen beffer zur
Geltung, als Seelenkampfe; und auf feelifchem Gebiete gelingt ihm der Ausdruck
der Leidenfchaften beffer, als derjenige der ftilleren Regungen des Gemüthes.
Selbft feine Farbengebung hat Rubens trotz aller venezianifchen Studien fchliefs-
lich doch aus feinem eigenften Gefühle neu gewonnen. Er ift einer der gröfsten
Coloriften aller Zeiten; und er ift in erfter Linie Colorift, weit mehr als Zeichner
im engeren Sinne des Wortes; denn wenn er auch die Formenfprache mit
Stift und Pinfel fo völlig beherrfchte, wie wenige, fo opferte er gelegentlich co,freiisfnus_
der malerifch-coloriitifchen Gefammtwirkung zu Liebe doch wohl einmal die
Reinheit und volle Richtigkeit der Einzelform: aber er ifi eben auch als Colorift
nur er felbft; die Farbenfiimmung der grofsen Coloriften der anderen Völker
erinnert nicht an die feine, felbft diejenige Tizians und Veronefes, der er am
erften nachftrebt, kaum, gefchweige denn diejenige eines Murillo oder eines
Rembrandt. Er hat eine reichere, üppigere Palette, als fie alle zufammen-
genommen. Das myftifche Helldunkel liebt er nicht, wenngleich er es, wo der
Gegenfland es erheifcht, aufserordentlich überzeugend zu handhaben verfteht.
Er fiellt feine Gefialten in der Regel ins volle, helle Tageslicht, das auch die
Schatten noch klar und farbig erfcheinen läfst, übrigens aber mit feiner warmen
Leuchtkraft nicht nur die nackten Theile wunderbar belebt, fondern auch die
an {ich lebhaft ausgefprochenen Localfarben der Gewänder ausgleichend mit
einander verföhnt. Wohl fchillern viele Bilder feiner Hand in einer unendlichen
Fülle von Farben, fo dafs fie" nicht mit einzelnen Accorden verglichen, fondern
ganze vFarbenfymphonienr genannt worden find; aber nur unter den Händen
feiner weniger geiftvollen Schüler wird diefer Farbenreichthum zur Buntheit
und Grellheit; auf feinen eigenhändigen Bildern ift er raufchende Feftfreude und
harmonifche Pracht.
Unendlich reich, wie feine Formenfprache und feine Farbenmufik, ift auch Stoggigiec.
fein Stoffgebiet. Die ganze weite, von taufend Prachtgefialten belebte gefchicht-
liche und fagenhafte Vergangenheit der Culturvölker erweckt er auf feinen
Riefenlinnen zu neuem Dafein. Die Erzählungen des Alten und des Neuen Tefia-
mentes, die Vorgänge der alten, der neueren und damals neueften Gefchichte,
die griechifchen Götter- und Heldenfagen und die mittelalterlich-chriftlichen
Heiligenlegenden werden unter feiner mächtigen Hand zu feurigen Farben-
dramen; und die allegorifchen Vorfiellungen feiner Zeit und feiner eigenen
Phantaiie werden zu Geftalten von Fleifch und Blut, die mit den Erdenbürgern
aller Zeiten wie mit ihres Gleichen verkehren.
Als treuer Sohn der katholifchen Kirche widmete er die eine Hälfte feiner