Buch.
Fünftes
Erfter Abfchnitt.
fprechend, fo herrfchend in den Vordergrund von Paolds Schaffen, dafs er bis
auf den heutigen Tag der klaffifche Vertreter diefer decorativen Malerei im
höchften Sinne des Wortes geblieben ift und fein Frescoftil auch für feine
Staffeleigemälde mafsgebend wurde. Die Bewegungsmotive, die er feinen Ge-
Pcalten und Gruppen verleiht, richten flch zunächft nach dem grofsen, heiteren
decorativen Linienztige, der {ich durch feine Flächen bewegt; feine Farben-
accorde, denen zu Liebe phantaliifch-reiche Coftüme bevorzugt werden, folgen
demfelben Zuge, ohne bei aller Glut im einzelnen den feinen, gedämpften
veronefifchen Silbergrundton zu verleugnen. Wunderbar aber verfieht der
Meifier es, eine lebenwahre, ja realiftifche Auffaffung der Geftalten und Situa-
tionen von diefen decorativen Linienwogen und FarbenHuthen tragen zu laffen.
Ein freie, finnlich angehauchte, aber edle und mafsvolle Weltluii fpricht aus
feinen Bildern; die ganze Feftfreudigkeit und Prachtliebe jener Tage fpiegelt
{ich hinreifsend grofsartig und lebendig in ihnen wieder. Was die gleichzeitigen
Römer, wie die Zuccari und der Cavaliere d'Arpino vielleicht dunkel ahnten,
fah Paolo klar und hell vor Augen; was fle, in dumpfer Schwere fich abmühend,
vergebens zu erreichen firebten, errang er fpielend, wie von felbft, und führte
es zugleich mit einer technifchen Sicherheit und Flüffigkeit der Pinfelführung
aus, die keinen Einwand aufkommen laffen. Geiftliche und weltliche Stoffe fafst
er dabei gleich weltlich, gleich heiter, gleich fefllich auf ; und wenn er fich des-
wegen im Jahre 1573 auch einmal vor dem Inquiütionsgerichtshofe zu ver-
antworten, in Folge Urtheilsfpruchs eins feiner Kirchenbilder abzuändern hatte
und feit der Zeit allzuweltliche Realismen vermied, fo blieb der Geifl feiner
Kunft im Grunde doch ftets derfelbe. Es ifl der reiche, üppige, heitere Geift
der venezianifchen Renaiffancecultur, der fich vor feinem Verwehen in Paolds
Werken noch einmal voll und ganz ausfpricht.
bä:l1xilei1:r-S' in Venedig alfo war die Kirche San Sebaftiano der erfte Schauplatz feiner
Seäglflzlitatpigzu Thätigkeit; und fo zufrieden waren feine Auftraggeber mit feinem Schaffen,
dafs er bis 1570 immer von neuem in ihr Klofter und ihre Kirche zurückkehren
und ihnen immer neue Bilder malen mufste, bis fie ihm, als er geitorben war,
eine GrabPtätte in ihrer Mitte einräumten. S0 ifi die Kirche S. Sebafiiano zu
Venedig das eigentliche Heiligthum und Hauptdenkmal der Kunfi des grofsen
Veronefen geworden. Aus den Jahren 1555 und 1556 fiammen die Decken-
gemälde der SakriPtei und des Kirchenfchiffes, dort die Krönung der Jungfrau
nebfl den vier Evangeliften, hier Efiher vor Ahasver, die Krönung EPchers und
der Triumph Mardochafs, drei mächtige, durch grofse Reinheit der Umriffe,
durch frifche Leichtigkeit der Pinfelführung und durch echt veronelifche, inner-
lich glühende und doch milde Farbenpracht ausgezeichnete Bilder, von grau in
grau gemalten Zwickeln umgeben. Etwa 1557 vollendete er das Hochaltarbild,
welches die Himmelskönigin darfiellt; und dann begann er die Fresken an den
Innenwänden der Kirche, von denen {ich die beiden Darftellungen, in welche
das Martyrium des heiligen Sebaftian aufgelöft ili, an der einen Langwand die
zielenden Bogenfchützen, an der gegenüber liegenden Wand der Jüngling am
Baumfiamm, durch die Originalität der Anordnung und durch die Lebendigkeit
der Auffaffung auszeichnen, während die gemalte Thür dem Choreingang gegen--
über, durch welche ein Mönch und ein Negerknabe eintreten, ein frühes Beifpiel