Volltext: Die Malerei von der Mitte des sechzehnten bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts (Bd. 3, Hälfte 1)

148 
Buch. 
Sechstes 
Erfter 
Abfchnitt. 
an, {ich für den jungen Domenico zu intereffiren. Er nahm ihn in fein Haus 
tflifr" auf und verfchaffte ihm gröfsere Aufträge. Das Altarblatt der Befreiung des 
ä- Apofiels Petrus aus dem Gefängnifs in der Kirche S. Pietro in Vincoli (vor 
kurzem in der Sacriflei) erinnert noch ftark an den Stil Ann. Carraccfs. Die 
Läsäwfel? drei Lünettenfresken aus der Legende des hl. Hieronymus an der Aufsenwand 
äfreskendn der Vorhalle des Klofters S. Onofrio (jetzt durch Glas gefchützt) verläugnen 
b.Onofr1o,      
die Schule, aus welcher der junge Meifter hervorgegangen lfi, zwar auch nicht; 
aber in einigen Geftalten diefer Bilder kommt bereits eine frifche, felbftändige 
Naturbeobachtung zum Durchbruch, die unabhängig von Annibale ihre eigenen 
Wege fuchte. Domenichinds Glück war gemacht; ein Auftrag nach dem 
anderen fiel ihm zu, und fchon in feinen nächften Werken entfaltete feine 
Eigenart fich zu ihrer kräftigften Blüthe. Zunächft malte er 1608 in der 
 in Capelle des hl. Andreas neben S. Gregorio magno das Frescobild der Geifselung 
szhäiggea des hl. Andreas. Guido Reni malte, wie wir (oben S. 138) gefehen haben, 
 die gegenüberliegende Darftellung des letzten Ganges desfelben Heiligen; alle 
 Welt war gefpannt, wer als Sieger aus dem Kampfe hervorgehen werde; und 
Dvmigiichino wenn man flch auch darüber einig war, dafs Guido, der ältere, eine ruhigere 
Guido Reni. Compofition geliefert und ein reineres Schönheitsgefühl gezeigt hatte, als Do- 
menichino, fo fah man doch fofort an der grofsartig realiftifchen Kraft, mit 
welcher diefer letztere die an flch unerquickliche Marterfcene dargeftellt hatte, 
und an dem unmittelbar aus dem Volksleben entlehnten, mit packenden Lebens- 
äufserungen ausgefiatteten Gruppen der zahlreichen Zufchauer, dafs dem 
jüngeren Meifter eine urwüchfigere Beobachtungsgabe und ein ernfterer künft- 
lerifcher Wille zur Seite ftanden, als jenem. Nicht dafs Domenichino von 
Haus aus begabter gewefen wäre oder es jemals fpäter zu gröfserer Beliebtheit 
bei den Maffen gebracht hätte, als Guido; im "Gegentheil, er erreichte fein 
Ziel mit gröfserer Mühe, und nur die Kenner fiellten ihn Guido gleich oder 
 zogen ihn demfelben gar vor; aber er nahm es im Ganzen ernfterimit feiner 
 Kunft, ernfter vor allen Dingen mit dem Studium der Natur. Guido ift leichter, 
weicher, empfindfamer, aber auch conventioneller und oberflächlicher als 
Domenichino; diefer ift fchwerfälliger und härter, aber auch wahrer und ener- 
gifcher, plaftifcher in der Modellirung, innerlich kühler, wenn auch manchmal 
farbenbunter im Colorit als Guido.  
nlgämlgfigllgä; Nach der Vollendung der Harter des hl. Andreas fchuf Domenichino 
igcgraiäßf 1609-1610 den F reskenfchmuck in der Capelle des hl. Nilus zu Grotta Ferrata. 
Ereigniffe aus dem Leben des Heiligen {ind dargeftellt; rechts vom Altar 
feine Heilung des befeffenen Knaben, links die knieenden Mönche, denen die 
 Muttergottes den goldenen Apfel vom Himmel herabreicht, im Bogenfelde der 
Tod des Heiligen; rechts vom Taufbecken fein Gebet zum heiligen Kreuze, 
links feine Befchwichtigung des Sturmes, im Bogenfelde die Verkündigung; an 
den beiden Langwänden aber die beiden berühmten Hauptbilder, von denen 
das eine die Begegnung des hl. Nilus mit Kaifer Otto III. zu Gaeta, das 
andere ein Wunder beim Neubau von Grotta Ferrata darftellt. Domenichino 
hat es hier wirklich verftanden, charakteriflifches Leben im Einzelnen mit ftil- 
voller Haltung im Ganzen zu verbinden. Die Färbung ift freilich etwas kalt 
und hell; aber die Geftalten find von um fo wärmerem Leben erfüllt. Be-
	        
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