Volltext: Die Malerei von der Mitte des sechzehnten bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts (Bd. 3, Hälfte 1)

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Buch. 
Sechstes 
Abfchnitt. 
Erfler 
zeichnet hatte, die uns durch die Stiche des Niederländers Corn.Cort (oben S. 128) 
überliefert worden find, fo ift Annibale Carracci neben Agoftino doch wohl der 
erPte gewefen, der in Italien felbftändigen Landfchaftsdarftellungen, wenn er die- 
felben auch nur in den feltenften Fällen von der biblifchen oder mythologifchen 
Staffage befreite, zu künfllerifchem Anfehen verholfen hat; und feine grofsartige, 
freie, ftets die Gefammtwirkung beherrfcliende Auffaffung der Landfchaft wurde 
dann nicht nur für Italien, wo fie doch bald nur allzu decorativ wurde, mafs- 
gebend, fondern wirkte auch auf den Norden zurück, der feine an fich innigere 
und gehaltvollere Auffaffung der Natur durch fie mit einem gröfseren, frifchen 
Zuge ausPtatten lernte. Man inufs Annibale Carracci in manchen Beziehungen 
einen entfcheidenden Einilufs auf den Landfchaftsfiil Paul Bril's, Claude Lorrains, 
Poussin's und Dughefs zugeftehen. Um ihn als Landfchafter zu würdigen, 
müffen wir von feinen vier gröfseren und zwei kleineren Landfchaften in 
Seine Laqd- halbrunder Geftalt ausgehen, welche urfprünglich offenbar Lünettendecorationen 
fchaften in       
der Galerie gewefen find, Jetzt aber im dritten Arm der Galerie Doria in Rom aufgehängt 
Doria zu      
Rom. find. Von den vier grofseren zeigt die erfte, welche aus einem von edel- 
geformten Bergen, üppigem Waldrand und alten Grabmonumenten umgebenen 
blauen See befteht, die Himmelfahrt Mariae als Staffage und glüht in faft 
venezianifcher Farbentiefe; die zweite, auf der die Flucht nach Aegypten dar- 
geftellt ift, ift etwas kühler im Ton, zeigt aber mit ihrem Caftell, ihrem 
Wafferfalle, ihren hohen blauen Bergen über dem grauen Landfee, ihrem Fluffe, 
der fich durch Felfen windet, eine grofsartig durchgearbeitete Compofition; 
die dritte, welche die Anbetung der Könige zur Anfchauuiig bringt, ift eine 
Prachtlandfchaft voll tiefer F arbenglut, in der die bunten Gewänder der 
Staffage lebhaft mitfprechen, und von einer geiftreicheu Anordnung, welche 
durch den vorn wachfenden fchlanken vollbelaubten Baum, der das Bild in 
 zwei ungleiche Hälften theilt, einen eigenthümlichen Reiz erhält; die vierte ift 
 mit der Grablegung des Heilands gefchmückt und übt mit ihrem finfteren 
Felfenvordergrund, ihrer fonnenbeleuchteten Stadt in der Mitte, ihrer fernen, 
grünblauen Gebirgslandfchaft unter röthlichem Abendhimmel eine eigenthümlich 
ernfte, ergreifende lNirkung auf unfere Stimmung aus. Von den beiden kleineren 
ftellt die eine die Begegnung der Frauen in gut abgewogener Compofition bei 
klarem, frifchen Tageslichte, die andere die Geburt des Heilands als Nachtftück 
ohne fonderliche Wirkung, wenn auch mit eigenem, vom Kinde ausftrahlenden 
Chjgiter. Lichte dar. Die decorative Beitimmung, die alle diefe Landfchaften hatten, 
  beeinfluffte offenbar und natürlicherweife ihre Geftaltung und ihre Haltung; 
und die übrigen Landfchaften Annibale's zeigen denn auch alle mehr oder 
weniger diefen decorativen Zug, der einerfeits unzweifelhaft befreiend wirkte, 
andererfeits aber doch auch einen hemmenden Eintlufs ausübte. Grofs und 
energifch find faft alle Landfchaften Annibales gehalten; die Berge, die Bäume, 
die Gebäude und das Waffer find die Elemente, aus denen fie zufammengefetzt 
und oft geiftvoll, lebendig und organifch überzeugend zufammengefetzt find; 
auch ihr warmer, tiefer Ton athmet in der Regel diefelbe Energie und F rifche; 
aber der Reiz des individuellen Lebens, der unmittelbaren Einzelbeobachtung, 
der echt der Atmofphäre und nur ihr abgelaufchten Stimmung fehlt ihnen 
noch. In den Hauptgalerien der europäifchen Grofsftädte find fie recht gut
	        
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