Sechstes
Buch.
Abfchnitt.
Erfter
fo darf man dem gegenüber nicht vergeffen, dafs die Wuchtigeren Formen der
umrahmenden Decoration ebenfalls in den Gemälden energifche Umriffe ver-
langten; und wenn die Färbung der einzelnen Bilder etwas ungleich erfcheint
und nicht von allen die gleiche Frifche und Wärme ausiirahlt, fo mufs man
bedenken, dafs auch die Farbe {ich mit der Rolle zu begnügen hatte, die ihr an
jeder Stelle innerhalb der Gefammtdecoration zukam. Im Ganzen aber ift das Werk
von feiner coloriPcifchen Seite ebenfowohl als von der Seite der F ormengabe
eine decorative Prachtleißung erften Ranges; und die Nachwelt wird den
Palazzo Farnefe in Rom der zur Zeit leider fo gut wie unzugänglich ift
nach wie vor zu den Wallfahrtszielen aller Künfiler und Kunfifreunde rechnen,
welche fich an malerifchen Gefammtwirkungen einheitlich gefchmückter Binnen-
räume erfreuen wollen.
Gemeinfam haben die Carracci nach diefer Zeit nicht mehr gearbeitet.
Agoftino fiarb, wie wir fehen werden, bald nachdem er Rom verlaffen, Annibale
bald nachdem er die Fresken im Palazzo Farnefe beendet. Ludovico, der ältere,
überlebte fie beide. Gehen wir alfo zur Betrachtung der Einzelleifiungen der
drei Meifier über!
Ludoyico. Ludovico fteckt in feinen früheren Werken theils noch am meifien in der
Sem 1
Jngendftil. alten Manier, theils am unbedingtefien 1m Banne Correggios und Parmeg-
gianinds; in den Arbeiten feiner mittleren Zeit erfcheint fein Eklekticismus oft
an unvermittelften und unabgeklärteften, und zugleich kennzeichnet fie ein
Streben nach wuchtigen Formen, ohne dafs er ihnen wirkliche innere Gröfse
zu geben verfianden hätte; erft in den Gemälden feiner letzten Epoche ift er,
langfam wie er war, zu innerlicherer Harmonie und echterer Gröfse hindurch-
gedrungen. In der malerifchen Technik wies er hauptfächlich auf Correggio
hin, deffen Helldunkel er, wenn auch gemäfsigt, feiner ganzen Schule mittheilte.
verf,(jßen_ Im Verfahren {fand er jedoch auf eigenen Füfsexi. Durch ihn kam der dunkle,
braunrothe Bolusgrund auf, auf dem er die Fleifchtöne blaugrau untertufchte, um
die Modellirung einfarbig auszuführen und mit forgfältiger Lokalfarbenlafur zu
vollenden.') Der colorifiifche Gefammteindrnck feiner Werke ifi in Folge
deffen einheitlich und warm, nicht ohne eine gewiffe Leuchtkraft, aber auch
nicht ohne eine gewiffe Schwere, die Ludovico in allen Stücken anhaftete.
Seine Von den erfien Fresken des Meifiers hat {ich wenig erhalten. Deutlich
Jugielilddbeiidir aber tritt uns {ein Jugendfiil in zwei Altarblättern entgegen, welche fich jetzt
zliilngiifrigria in der Pinakothek von Bologna befinden; das eriiere, welches vLudovico Car-
racci 1588m bezeichnet ifi, {tellt die thronende Madonna dar, von vier Heiligen
mit den Zügen der Angehörigen der Stifterfamilie Bargellini in lebhafter Be-
wegung knieend verehrt, von Engeln mit ausgeprägt correggesken Typen um-
Hattert und umfpielt; das andere zeigt die Madonna, wie {ie als Sinnbild ihrer
unbeHeckten Empfängnifs auf dem Monde fieht, neben ihr in ekfiatifcher Be-
wegung den heiligen F ranciscus, unter ihr Hieronymus; es iPt ein Bild, welches
feiner Zeit fehr bewundert und in der That in manchen Beziehungen ton-
angebend für die neue Richtung wurde. In dem letzten Jahrzehnte des Jahr-
Die Einzel-
leiflungen
der drei
Carracci.
Ludovico.
Sein
Jugendftil.
Sein
Verfahren.
I) H. Äuzfütnlg.
Leipzig 1876, V. 251
Ueber die Grundfütze
2 5 2.
das Verfahren
der Oelmalerei
clafüfclmen Meifter,