ABTHEILUN G.
DIE
MALEREI DES SIEBZEHNTEN JAHRHUNDERTS
lN DEN ROMANISCHEN LÄNDERN.
Vorbemerkungen.
orüber war die frühlingsfrifche Knofpenzeit der Malerei des fünfzehnten Bedlgfxjung
Jahrhunderts, vorüber die warme, volle Sommerblüthenpracht der erften 5351x233
und die unfcheinbare, dürftige Uebergangszeit der zweiten Hälfte des m;
fechzehnten Jahrhunderts. Die Erntezeit des Herbftes war gekommen; und an
mannichfaltigen reifen Früchten, die jeder Boden nach feiner Art trug, fehlte
es an keiner der alten Kunftftätten. Das fiebzehnte Jahrhundert ift, alles in
allem genommen, die klafflfche Zeit der Malerei in ihrer technifchen Entwick-
lung zu einer felbftäxidigen, nur ihren eigenen, natürlichen Gefetzen folgenden
Kunft. Die ganze Welt des Geiftes und der Erfcheinungen, Vergangenes und Ihgeäiijft
Gegenwärtiges, mit der Phantafxe und mit dem leiblichen Auge Gefchautes, be-
herrfchte {ie mit gleicher Freiheit und Sicherheit; lie wufste {ich nicht nur der
menfchlichen Geftalt, der Krone der Schöpfung, nach wie vor in allen denk-
baren Verbindungen zu bedienen, um ihre Ziele zu erreichen, fondern auch die
Erde, das Meer und den Himmel, die Thiere, die Bäume und die Blumen, ja
felbft die von menfchlichen Händen gefchaffenen neuen Welten von der mäch-
tigften Architektur bis zum kleinften Stilleben mit felbftändigem künftlerifchen
Reize zu erfüllen und wiederzugeben; und beffer als je zuvor gelang es ihr, Tellifäik,
ein Stück diefer Gefammtwelt der Erfcheinungen, wie ein einziger Blick des
menfchlichen Auges es zugleich zu erfaffen vermag, mit feiner ganzen Luft- und
Linienperfpective, mit allen Farbenabftufungen, allen Uebergängen von Licht
und Schatten, aller Unterordnung des Einzelnen unter das Ganze genau fo
auf die Fläche zu bannen, wie es {ich auf der Netzhaut unferes Auges wieder-
fpiegelt. Freilich hatten die grofsen Meifier der älteren Blüthezeit, wie Leonardo
da Villa" und Dürer, die technifchen Schwierigkeiten, die diefer Entwicklung
im Wege ftanden, bereits fo gut wie vollftändig gehoben; und Coloriften,
wie Correggzb und Tizzkzn, befonders der letztere, ftanden. auch in der Praxis
bereits auf dem Boden der grofsen Techniker des {iebzehnten Jahrhunderts,
welche von ihnen lernten. Aber diefe technifchen Errungenfchaften wurden
doch jetzt erft das Gemeingut der ganzen Kunitwelt, die Vorbedingung, ohne
welche keine Malerei mehr Geltung erhielt; und nach manchen Seiten hin, be-