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Viertes Buch.
Abthei1ung.
Aber auch das schönste allegorische Bild Tizians gehört der Jugendzeit
1zschcfLiEi,.2l.. des Meisters an. O Es ist das unter dem Namen der oirdischen und himms
mi30F;h2iTi lischen Lieben zum Evangelium der Maler der zweiten Hälfte des I9.Jahrhuns
Zu Rom. derts gewordene grosse Breitbild der Galerie Borghese zu Rom CFig.414J. Vor
reicher, köstlicher Landschast steht ein Brunnen, dessen V0rderseite ein antikes
Sarkophagrelief ziert. Ein kleiner Liebesgott beugt sich über den hinteren, Rosen
liegen auf dem vorderen Rande, an dessen beiden Seiten zwei wunderschöne
Frauen sitzen; links eine reich und völlig ssogar mit HandschuhenJ bekleidete,
welche ruhig würdevoll zum Bilde hinausblickt, rechts eine üppigsschöne nackte,
welche, auf den rechten Arm gestützt, hinabschaut, als wolle sie sich im Wasser
des Brunnens spiegeln, in der erhobenen Linken aber ein Weihrauchgefäss
hält. Dass die bekleidete und die nackte Frau einen Gegensatz andeuten, ist
klar; dass das Bild von Liebe reden will, scheint der Amor anzudeuten. Crowe
und Cavalcaselle nennen, nicht besonders glücklich, die nackte die unbewusste,
die andere die gesättigte Liebe. Eine nähere Erklärung ist überhaupt noch
nicht gelungen, und es bedarf einer solchen auch kaum.2J vWas das Bild dars
stellt, was Tizian sich dabei gedacht hat, ist uns gleichgültig. Wir sind übers
zeugt, dass es etwas Sinniges und Schönes sein muss, und das genügt uns.
Die malerische Erscheinung nimmt uns so voll gefangen, dass wir alles andere
vergessen. Hier ist alles Gleichgewicht und Harmonie. Ist das ganze eine
LandsehaftP ist es ein FigurenbildP ist es realistischP ist es idealistiscl1P sind die
schönen Frauen nur da, um dem unbeschreiblich glühenden und blühenden
Kolorit zu dienen; oder dient das schöne K0lorit nur der Schönheit dieser
FrauenP Alle diese Fragen wird man unbeantw0rtet lassen müssen; alle Alters
nativen fallen weg. Es ist vielleicht die allseitig vollendetste Offenbarung echt
malerischer Schönheit im engeren Sinne des Wortes, welche unserer Erde zu
Theil geworden ists. Nur wer mit dem Verstande Kunstsreund ist, kann auf
einem solchen Bilde von solcher Meisterhand vZeichenfehlercc suchen. Als
allegorische Darstellung aus Tizians früheren Tagen reiht sich diesem viel
,EiteHcI;m1 k0pirten und besprochenen WVerke noch die Darstellung der Eitelkeit unter
1Y1iivchsvek.dein Bilde seines schönen üppigen Weibes in der Münchener Pinakothek
Pinakothek.
sNo. 470J an, wenn anders wir mit dem Münchener Kataloge diesen Gegenstand
und mit Morelli,3J der die Gestalt für eine Sibylle hält, ein Werk Tizians in
diesem Bilde erkennen.
sicher gehören eine Reihe trefflicher Bildnisse dieserJugendzeit des Meisters
Ti2isvs an: so das an der Grenze der religiösen Kunst und der Bildnissmalerei stehende
in Amwers interessante Bild des Antwerpener Museums, welches Papst Alexander VI. dars
Den, stellt, wie er den Besteller des Bildes, Jacopo da Pesaro, dem hl. Petrus ems
pHehlt, angeblich spätestens im Jahre 15o3, der Behandlung nach zu schliessen,
II Nach cr0we u. Cavalcafellels Anf1cl1t Ha. a. O. S. 57J fcl1on um I5oo gemalt, nach anderen
um lso3, nach J.ksIJ7m2Z77eJcc viel wahrfcheinlicl1erer Meinung Ia. a. O. S. 26J um 1509.
2J Es möge dem Verfaffer gestattet fein, die folgenden Worte, welche er in Rom nieclergefchries
ben, aus feinen ;:Kunfts nnd Naturflcizzene CI. S. 254J zu wiederholen.
3J LemmZfezJ a. a. O. S. 4lss42. Derfelbe Kenner erklärt, den Verfaffer nicht voll überzeugend,
auch die Darstellung der fcl1önen salome der Galerie Doria zu Rom, welcl18 ein Kreuz der Kenner ist
und abwechselnd für Giorgione Pordenone und Lotto erklärt worden, entfchieden für ein Jugendwerk
Tizians, ebenf0 Toben S. 729J das unter Giorgione7s Namen bekannte 2sKonzertec des Pal. Pitti.