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Viertes Buch.
Abth ei1ut1g.
ler, und Pietro Aretino, der Kritiker, das venezianische Kunstlcben beherrschs
Venedigs ten, deutlich zum Ausdruck. Venedig war eben, besonders durch die Bes
Hu3JY.N strebungen der beiden Aldus Manutius, deren älterer der grossartigste Verleger
gricchischer Bücher war und die aldinische Akademie, deren Umgangssprache
die griechische gewesen, gegründet hatte, zu einer Hauptstadt des Humas
ncmi2o. nismus geworden. P. Bembo, der spätere Kardinal und Sekretär Leo,s X. dichtete
damals in Venedig einen Theil jener VVerke, deretwegen er als zweiter Ers
Navsgero. neuerer der italienischen Poesie gefeiert wurde, und Navagero, der Rhetoriker,
Di:ir:J;FFias blieb feiner Vaterstadt, in deren Dienst er trat, getreu. Die eigentliche Kunst
ivisiek. Venedigs aber war nach wie vor die Malerei. Doch verdient bemerkt zu
werden, dass von den weltberühmten venezianischen Ma1ern dieser Tage, in
denen viele Kunftfreunde die grössten Meister verehren, die iiberl1aupt gelebt
haben, kein einziger in der Stadt Venedig geboren war. Sie stammten alle
vom veneZianischen Festlande, hatten aber kürzere oder längere Zeit die feuchte
Seeluft der Inselstadt geathniet, welche oft genug die Gegenstände in jenem
weichen Goldduft schwimmend zeigt, den schon die leitenden venezianischen
Maler des 15. Jahrhunderts sich angeeignet hatten. Die gemeinsame Schule,
welche viele Meister der neuen Generation bei Giovanni Belliiii ssoben S. 289
Sti1,deF ss295J2 durchmachten, that das ihre dazu, der venezianischen Malerei des Cins
quecento ihren einheitlichen Charakter zu erhalten und ihre blendenden Eigens
schaften immer leuchtender zu entwickeln. Nach wie vor richtete sich ihr Augens
merk, von einigen glänzenden Ausnahmen abgesehen, weniger auf dramatische
Lebendigkeit der Erzählung, als auf behagliche Breite in der Darstellung eins
zelner Gestalten und Gruppen, ruhiger Zustände und sittenbildlicher Situatios
nen; neben der Komposition nahm aber auch das venezianische Kolorit an dem
Zuge der Zeit Zu grösserer Freiheit, Abrundung und Klarheit theil und wurde
immer massgebender für den Gesammteindruck der Gemälde dieser Schule.
Correggio, der Kolorist im Sinne der Lichts und Tonmalerei, idealisirte die
Stimmung bis zur phantastischen Wirkung, und seine gleichmässig verschmels
zende Pinfelführung entkleidete die Dinge nur allzu oft ihrer stofflichen XVahrs
l1eit. Die Venezianer sind Lichtmaler, wie Correggio, aber ihr Goldliclit ist
nur der Abglanz des wirklichen glühenden Lichtes, welches über jenen Küsten
strahlt. Daher lösen sie ihre Lokalfarben auch nicht in ein correggeslces Heils
dunkel auf, sondern lassen sie, prachtvoll harmonisch nebeneinandergeste1lt, in
tiefer, feuriger Glutli ihre eigene Geltung suchen; daher wird ihre Pinsels
fuhrung, der sie zum ersten Male die volle malerische Breite geben, die das
17. Jahrhundert weiterbildete, auch der eigenthümlichen stofflichen Erscheinung
aller Dinge gerecht; daher heben ihre neben und hintereinander dargestellten
Gegenstände sich nicht in scharfen Linien, sondern in weich verschwimmenden
Umrissen, wie wir sie in der Natur sehen, von einander ab; und hiermit hängt
es zusammen, dass die venezianische entschiedener als irgend eine andere gleichs
zeitige italienische Schule den malerischen WJerth jeder Erscheinung zur Haupts
sache macht und daher auch im Stande ist, der Landschaft und den Figureris
scenen des täglichen Lebens einen selbständigen malerischen Reiz abzugewinnen
und so mit den gleichzeitigen nordischen Anfängen der Landschaftsmalerei
und der Genremalerei Schritt zu halten. Kurz, die Venezianer sind die grössten
italienischen Rea1isten jener Tage, ohne den Gesetzen einer schönen Liniens